Montag, 6. Juni 2005 / 12:01:55
Volk pragmatisch - frühe Ja-Kampagne erfolgreich
Bern - Das Ja zu Schengen/Dublin ist für Schweizer Politologen ein Beweis für den Pragmatismus des Volks. Die Befürworter hätten ihre Kampagne früh begonnen und das habe sich gelohnt. Für den 25. September rechnen sie mit harten Kämpfen.
Der Politologe Werner Seitz vom Bundesamt für Statistik sah in der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden kaum einen grossen Einfluss auf das Resultat in der Schweiz, obwohl die Gegner wie üblich am Schluss noch eine beträchtliche Mobilisierung erreicht hätten.
Pragmatismus spricht für bilateralen Weg
Daniel Kübler, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Zürich, führte das Ja auf den Pragmatismus des Volkes zurück. Die Zeit, als die Deutschen die Schweiz wie eine EU-Aussengrenze behandelten, sei in Erinnerung geblieben.
Zudem hätten die Befürworter dieses Mal ihre Kampagne früh und kontinuierlich geführt. So seien sie nicht ins Hintertreffen geraten. Auch die Angstmacherkampagne der Gegner habe nicht verfangen.
René Schwok, auf die EU spezialisierter Politologe an der Universität Genf, sagte, in den vergangenen drei Wochen sei der Nein-Anteil um 10 Prozent gestiegen. Dazu dürfte neben der Gegner-Kampagne das Verfassungs-Nein Frankreichs und der Niederlande beigetragen haben.
Weniger tiefe Gräben als auch schon
Der Stadt-Land-Graben und der Unterschied zwischen Deutsch- und Westschweiz sei diesmal im Vergleich zur EWR-Abstimmung 1992 geringer geworden, sagte Seitz. Auffallend nämlich sei, dass die Zustimmung in der Deutschschweiz gestiegen und in der Westschweiz gesunken sei.
In der ländlich geprägten Zentral- und Ostschweiz sei der Ja-Anteil um rund 10 Prozentpunkte gestiegen. Und in verschiedenen Kantonen zeige sich ein breiter Ja-Gürtel rund um die Städte bis weit ins Land hinaus. Für Kübler war es zu früh, von weniger tiefen Gräben zu sprechen.
25. September: Befürworter im Vorteil
Für die Abstimmung vom 25. September über die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Länder sah Seitz die Befürworter im Vorteil. Kübler teilte diese Ansicht.
Der SVP dürfte es schwer fallen, die Reihen zu schliessen, denn ihr Wirtschaftsflügel sei dafür, sagte Seitz. Zudem fehle Christoph Blocher, der solche Gräben in früheren Zeiten überbrückt habe. Aber auch die Linke habe eventuell Gegenwind durch die Gewerkschaften.
Kübler hob hervor, dass ein Nein am 25. September ein Scheitern der bilateralen Verträge bedeute. Vertraue man auf den schweizerischen Pragmatismus, seien die Befürworter im Vorteil.
Zudem sei die EU nicht mehr diesselbe, wie vor den Verfassungsreferenden. Es sei klar geworden, dass sie kein Superstaat werde. Befürchtungen, die viele EU-Bürger mit den Schweizern teilten, müssten von der EU nun ernst genommen werden.
Schwok sah einen emotionalen Abstimmungskampf voraus. Die Befürworter hätten bei Schengen/Dublin betont nüchtern argumentiert. Jetzt müssten sie die Risiken eines Neins kommunizieren.
EU-Beitrittsgesuch: Rückzug als Risiko und Chance
Von dem am Sonntag angesprochenen Rückzug des EU-Beitrittsgesuchs erwartete Seitz keine innenpolitische Entspannung. Beim Drittel in der parteipolitischen Mitte dürfte der Druck etwas nachlassen. Das müsste aber vor allem auf der Seite des EU-befürwortenden Drittels mit einer verstärkten Verkrampfung bezhalt werden.
Kübler dagegen sah den Rückzug als einen logischen Schritt. Schon lange tot, müsse das Gesuch auch beerdigt werden. Die Schweiz habe den bilateralen Weg gewählt. Ein Rückzug nehme den EU-Gegnern mit ihrem Argument, jede europapolitische Öffnung sei ein Schritt zum Beitritt, den Wind aus den Segeln.
Auch für Schwok war das Ja vom Sonntag ein klares Bekenntnis zum Bilateralismus. Damit rücke - obwohl ein Beitrittshindernis ausgeräumt sei - ein EU-Beitritt weiter in die Ferne. Den Rückzug des Beitrittsgesuchs hielt er aber für den Versuch, Verwirrung zu stiften.
fest (Quelle: sda)
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