Freitag, 23. Mai 2008 / 12:37:38
Bundesrat vernichtet Akten mit «gefährlichem Material»
Bern - Der Bundesrat hat Akten der mutmasslichen Schweizer Atomschmuggler vernichten lassen, um zu vermeiden, dass dieses «gefährliche Material» in falsche Hände gerät. So hat Bundespräsident Pascal Couchepin am Freitag die Aktion begründet.
Die bei drei Rheintaler Ingenieuren sichergestellten Dokumente hätten detaillierte Baupläne für Nuklearwaffen, für Gasultrazentrifugen zur Anreicherung von waffenfähigem Uran sowie für Lenkwaffenträgersysteme enthalten, erklärte Couchepin vor den Medien in Bern.
Diese Dokumente hätten ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Schweiz und die Staatengemeinschaft dargestellt, sagte Couchepin. Der Bundesrat habe unter allen Umständen verhindern wollen, dass diese Informationen in die Hände einer terroristischen Organisation oder eines «unberechtigten» Staates gelangten.
Um dieser Gefahr wirksam zu begegnen und den vertraglichen Verpflichtungen aus dem internationalen Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT) nachzukommen, habe der Bundesrat am 14. November 2007 beschlossen, die Datenträger und Dokumente der Ingenieure zu vernichten.
Pakistan-Connection
Die Bundesanwaltschaft führt seit 2004 ein Verfahren wegen Verstosses gegen das Kriegsmaterial- und das Güterkontrollgesetz. 2006 hat der Bundesrat «aus Hinweisen geschlossen, dass verschiedene offizielle Atomwaffenstaaten Kenntnis erhalten hatten, dass die Schweiz im Besitze von hochbrisanten Dokumenten war».
Diese Dokumente stammten laut Couchepin aus dem Umfeld des «Vaters» der pakistanischen Atombombe, Abdul Qader Khan. Daraufhin sei die IAEA an die Schweiz gelangt und habe offiziell um Einsicht in den Datenbestand ersucht. Der damalige Justizminister Christoph Blocher habe die Sache abklären lassen.
Verfassungsmässig abgestützt
Bei seinem Reisswolf-Entscheid habe sich der Bundesrat auf die Bundesverfassung gestützt, welche ihm die Kompetenz einräumt, zur Wahrung der aussenpolitischen Interessen des Landes Entscheide zu treffen und Massnahmen zu ergreifen, um schwere Störungen der inneren oder äusseren Sicherheit abzuwehren, sagte Couchepin.
Die Akten seien von der Bundeskriminalpolizei unter Aufsicht der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) geschreddert worden, sagte Couchepin. Die für die Geheimbereiche zuständige Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) sei laufend informiert worden. Für Fragen stand Couchepin nicht zur Verfügung.
Couchepin sagte nichts zu einer von der Presse häufig erwähnten These, wonach die Aktenvernichtung aus Gefälligkeit gegenüber den USA geschehen sei. Gemäss dieser These, die auch von einem von der Nachrichtenagentur SDA befragten, anonym bleiben wollenden Experten gestützt wird, habe die Schweiz die amerikanischen Geheimdienste nicht in Verlegenheit bringen wollen.
GPDel-Präsident und Nationalrat Hugo Fasel (CSP/FR) erklärte in der Sendung «Rendez-vous» von Schweizer Radio DRS, die Delegation sei am 8. Februar über die Aktion Reisswolf informiert worden. Die Information habe die GPDel auf eigenes Betreiben erhalten.
Beim Untersuchungsrichteramt hängig
Nicht vernichtet wurden die übrigen Strafakten der Bundesanwaltschaft wie Einvernahmeprotokolle und Rechtsschriften. Das Strafverfahren gegen die Rheintaler Ingenieure - ein Vater und zwei Söhne - ist zur Zeit beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt (URA) hängig.
Untersuchungsrichter Andreas Müller wollte am Freitag auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA das Vorgehen des Bundesrates nicht kommentieren, da es sich dabei um einen politischen Entscheid handle. Den Umfang der Akten könne er noch nicht nennen, da er noch am Sichten sei.
Die «Basler Zeitung» hatte berichtet, von rund 100 Ordnern sei die Hälfte vernichtet worden. Ob das Fehlen eines Teils der Akten einen Einfluss auf die Voruntersuchung haben werde, sei schwierig einzuschätzen, da er ja nicht wisse, was fehle, sagte Müller. Auch könne er noch nicht sagen, wie lange die Untersuchung dauern werde.
fest (Quelle: sda)
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