Samstag, 24. Mai 2008 / 10:55:10
Jurist kritisiert Aktenvernichtung
Bern - Die Aktenvernichtungsaktion des Bundesrates wird nicht nur von politischer, sondern auch von juristischer Seite in Frage gestellt. Der Strafrechtler Niklaus Oberholzer bezeichnet sie als «ungeheuerlich».
Er habe noch nie von einem ähnlichen Fall von Aktenvernichtung gehört, und dies sei für ihn «das Ungeheuerliche daran», sagte der Präsident der Anklagekammer des Kantons St. Gallen in einem Interview, das im «St. Galler Tagblatt» und im «Bund» erschien.
Das Vorgehen des Bundesrates greife «massiv» in das Prinzip der Gewaltentrennung ein, sagte er zudem in einem Interview der «Thurgauer Zeitung». In einem Rechtsstaat mit Gewaltentrennung sei eine direkte Intervention der Regierung in ein laufendes Verfahren nicht vorgesehen.
Er könne sich nicht vorstellen, wie das Gericht noch zu einer Verurteilung gelangen könne, nachdem die Akten von einer politischen Behörde «gesäubert» worden seien. Die Verteidigung könne jederzeit einwenden, entlastendes Material sei ebenfalls vernichtet worden.
Ausserordentliche Krisenlage?
Die Begründung des Bundesrates für die Aktenvernichtung lässt Oberholzer nicht gelten. Der Bundesrat berufe sich auf eine Bestimmung der Bundesverfassung, die auf ausserordentliche Krisenlagen zugeschnitten sei. Er habe aber grosse Mühe mit der Vorstellung, dass sich die Welt oder die Schweiz in einer solchen Situation befunden hätten.
Auch die Begründung, der Besitz solcher Akten sei unvereinbar mit dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen, stellt der Jurist in Frage. Um den Vertrag zu erfüllen, hätte es gereicht, die Dokumente sicher zu verwahren und erst nach Abschluss des Strafverfahrens zu vernichten, gibt er zu bedenken.
Kritik von Dick Marty
Kritik übt auch der Europaratsermittler und Nationalrat Dick Marty (FDP/TI). Er verstehe nicht, warum die Dokumente zerstört worden seien, sagte er am Freitag in der «Tagesschau» des Westschweizer Fernsehens. Er gehe davon aus, dass «noch nicht die ganze Wahrheit» gesagt sei.
Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) teilte dem Bundesrat schriftlich mit, dass sie «mit der umfassenden Vernichtung von Akten nicht einverstanden» sei, wie GPDel-Vizepräsident Claude Janiak (SP/BL) in einem Interview der «Mittelland Zeitung» sagte.
smw (Quelle: sda)
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