Montag, 11. April 2005 / 10:14:50
Klebrige Vergangenheit
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In Deutschland waren in letzter Zeit Stimmen laut geworden, die fordern, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen. Sie sind der Meinung, dass die Verbrechen des Nazi-Regimes heute keine Wichtigkeit mehr haben. Deshalb solle man nicht mehr darüber sprechen, daran denken und sich nicht damit auseinander setzen. Ja, sie glauben wirklich, dass, wenn das 'Tätervolk' die Taten vergisst, dies auch bei den Opfern der Fall sein wird.
Am anderen Ende der Welt wird momentan gerade sichtbar, dass dem garantiert nicht so ist. Japan hat einen völlig anderen Weg gewählt als Deutschland, als es um die Vergangenheitsbewältigung ging. Nämlich den, möglichst nicht hin zu schauen und stattdessen eine Art Opferrolle einzunehmen. Der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sorgte dafür, dass Japan nach dem Krieg von der eigenen Schuld nichts wissen wollte. Stattdessen wurde nur starr nach vorne geblickt, industrialisiert und versucht, mit einer Art Wirtschaftskrieg die einstigen Bezwinger nieder zu werfen, was zum Teil sogar gelang.
Doch was es mit Entschuldigungen bei China und Südkorea angeht, hat Japan noch nicht allzu viele Schritte gemacht, die zu einer Beilegung der Spannungen führen könnten. Stattdessen verharmlost Japan in seinen Schulbüchern die Gräuel, die von den japanischen Besatzern angerichtet wurden. Es wird weder auf die Zwangsprostitution koreanischer Frauen noch auf die grausigen Biowaffenversuche an chinesischen Gefangenen eingegangen. Zudem besucht Premierminister Koizumi immer noch einen Schrein, in dem japanische Kriegsverbrecher verehrt werden.
Nun wären dies für sich genommen schon recht problematische Ereignisse. Doch diese Spannungen sind in eine Weltgegend eingebunden, die sich dynamischer als jede andere entwickelt und in der noch viele andere Konflikte lauern.
So schwelt zwischen Japan und Südkorea ein Konflikt um zwei kleine Inseln (und mögliche Ölvorkommen). China ist wütend über die Annäherung Japans an Taiwan. Zudem strebt Japan an, bei der Neuordnung der UNO neben China zweites, ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates aus Asien zu werden und so einen globalen Einfluss zu sichern. Ein Ansinnen, dem sowohl Südkorea als auch China skeptisch gegenüber stehen.
Würzt man diesen pikanten Eintopf noch mit dem Nordkorea-Problem, sieht man sich einer extrem komplexen Vermengung von Interessen und Machtwünschen gegenüber.
Dass in einer solchen Situation eine nicht aufgearbeitete Vergangenheit ins Spiel kommt, ist nur logisch. Was lässt sich besser instrumentalisieren als offene Rechnungen? Japan hat die Gelegenheit verpasst, diese Zeitbomben zu entschärfen. Ausgerechnet (oder logischerweise?) jetzt gewinnen die japanischen Nationalisten an Einfluss: In Tokio werden Lehrer, die Ihre Schüler nicht zum Singen der militaristischen Nationalhymne zwingen, bestraft. Und ein Feiertag wird zu einem Gedenktag an Ex-Kaiser Hirohito umgetauft, dem Mann, der Asien mit Krieg überzog.
Wer nicht will, dass die Vergangenheit die Zukunft bestimmt, muss sich ihr stellen und die Konsequenzen daraus ziehen. Zu glauben, sie verschwinde einfach, wenn man nur lange genug wegschaut, ist ein Missverständnis. Denn genau wie Blut ist die Vergangenheit sehr klebrig.
Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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