Montag, 6. November 2006 / 11:19:32
Mit Stricken zur Demokratie?
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Es gibt einen vulgären amerikanischen Ausdruck, der sich nicht wirklich übersetzen lässt, jenen vom 'big, shit-eating grin' einem triumphalen Grinsen, das zeigt, dass man glaubt, seinem Gegner einen entscheidenden Schlag versetzt zu haben. Genau dieses Grinsen konnte am Sonntag auf dem Gesicht von George W. Bush besichtigt werden, nachdem er seinen Anhängern die Nachricht vom Todesurteil gegen Saddam Hussein verkündet hatte.
«Heute wurden wir Zeuge eines historischen Ereignisses in der Geschichte des Irak: Saddam Hussein wurde durch das irakische Sondertribunal zum Tode verurteilt. Saddam Husseins Prozess ist ein Meilenstein auf dem Weg des irakischen Volkes die Herrschaft eines Tyrannen mit der Herrschaft des Gesetzes zu ersetzen», trompetete Bush heraus, enthusiastisch gefeiert von seinen Anhängern.
Diese Behauptung mag im ersten Moment sogar vernünftig erscheinen, wenn man Parallelen mit den Nürnberger Prozessen zieht, die vor sechzig Jahren ja auch den Start von Deutschland – zumindest des westlichen Teils – in die Demokratie markierten. Doch die Situation könnte nicht unterschiedlicher sein.
Deutschland war damals Verlierer eines Krieges, aber als Nationalstaat gefestigt. An den Nürnberger Prozessen wurde der Angriffskrieg und die Vernichtung ausländischer Juden geahndet und damit ein Regime, bestehend aus einer verhältnismässig kleinen Clique. Die meisten der Mitläufer hatten sich nach dem Krieg ebenso opportunistisch von den Nazis wieder weggewandt, wie sie sich zuvor an sie rangeschmissen hatten.
Die damalige Einheit Deutschlands und der Weg des Landes in die Demokratie stand nicht wirklich in Frage. Dass der Kalte Krieg für 40 Jahre eine andere Realität verursachte (und immer noch Wirkungen zeitigt), ist eine andere Sache.
Wie unterschiedlich hingegen der Irak. Saddams Hinrichtung wird nur sehr wenig bewirken, denn die Probleme in diesem multiethnischen, multireligiösen Land gehen so viel tiefer.
Während sich Schiiten und Sunniten zerfleischen, jeweils angetrieben von den Nachbarstaaten, versuchen die Kurden ihr eigenes Süppchen zu kochen, reiben sich in Mossul aber auch mit den Arabern, die sich das Öl nicht wegnehmen lassen wollen.
Dutzende verschiedener Miliz-Verbände schlachten sich gegenseitig ab, die US-Armee muss sich zum Teil sogar zurückziehen und den schiitischen Sadr-Milizen das Feld überlassen. Der Tod lauert an jeder Ecke. In den staatliche Gefängnissen wird gefoltert und ohne Prozesse hingerichtet. Falls es hier einen Weg zum Rechtsstaat geben sollte, ist er unter Tonnen von ethnischem, religiösen und historischem Schutt vergraben. Nach dem Abzug der US-Truppen droht eine «Somalisierung» des Landes, ein völliger Zerfall oder ein lange anhaltender Bürgerkrieg.
Bush's triumphales Gejuble ist im Vorfeld der Erneuerungswahlen für Senat und Kongress verständlich, denn die Republikaner brauchen jeden Erfolg. Doch seine Einschätzung, dass das Aufhängen eines Tyrannen das Land in eine Demokratie verwandeln werde, sagt mehr über Bush als über die Wirklichkeit aus.
Bush glaubt an die Verkörperung des Bösen durch einzelne Personen. Und Saddam Hussein war – nach allem Ermessen – sicherlich böse. Doch er war letzten Endes ein Stammesfürst, der mit archaischen Herrschaftsmethoden regiert hat – er war der überhöhte Ausdruck der irakischen Gesellschaft, ein logischer Despot, der einem anderen gefolgt war, den er aus dem Weg geräumt hatte.
Die Nazis waren eine pseudoreligiöse Zeitgeistpartei gewesen, geboren aus einem radikalen gesellschaftlichen Umbruch, einem verlorenen Krieg, wirtschaftlichen Krisen und weit herumgreifender Angst im Volk. Ihre Bewegung endete damals wirklich mit den paar Metern Strick, an denen die letzten hohen Nazis aufgehängt wurden.
Im Irak werden weder die Klanstrukturen noch die religiösen, seit mehr als tausend Jahren schwelenden Konflikte ein Ende finden, wenn Saddam dereinst am Strick baumelt. Dies zu verkünden ist entweder dumm oder eine Lüge; was es denn nun wirklich ist, lässt sich bei George W. Bush leider nie so genau sagen. Einzig, dass dieser Strick weder Frieden noch Demokratie bringen wird.
von Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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