Mittwoch, 15. März 2006 / 11:38:01
Gut Mörgeli, du Bundesbrief!
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Eine Million. Ein Mörgeli. Ein antikes Dokument. Aus diesen Komponenten wird in der Schweiz ein Hurrikan im Café Lutz-Glas gebraut. Da soll der Schweizer Bundesbrief für drei Wochen in den USA ausgestellt werden. Ein Vorgang, der mit vergleichbar kostbaren Gegenständen wie Kunstschätzen der Neuzeit und Antike durchaus gang und gäbe ist.
Aber nicht, wenn Christoph Mörgeli, SVP-Nationalrat, Pirmin Schwander, der Präsident der AUNS und anonyme, geldspendende Patrioten im Hintergrund, ins Spiel kommen. Denn sie sehen es als ihre Aufgabe, «das zentrale Dokument der Freiheit und Unabhängigkeit der Schweiz», zu verteidigen.
Abgesehen davon, dass es stockblöd ist, die Identität eines Landes an einem Dokument, das heutzutage nicht einmal mehr ein Rechtstitel wäre, aufzuhängen, stellt sich doch die Frage: Wie wichtig war dieser Bundesbrief in der Schweizer Geschichte? Und da stellt sich heraus: eigentlich nicht sehr. Das umstrittene Dokument lag Jahrhunderte lang völlig unbeachtet in Schwyz im alten Archivturm und kein Hahn krähte danach.
Das änderte sich erst im 19. Jahrhundert, als Nationalstaaten und Gründungsmythen so richtig in Mode kamen. Der Bundesbrief wurde in der Folge ausgegraben, untersucht, ausgestellt und rumgezeigt. Doch das Herz der Schweiz war schon damals die Bundesverfassung aus dem Jahr 1848. Der Bundesbrief hingegen stand für eine halb-feudale Ständegesellschaft, einen Ursprung der Schweiz, der endlich überwunden war. Genauso wie die schweren Konfessionskonflikte, die Unterdrückung der Untertanengebiete, Rechtsungleichheiten und anderen üblen Dinge, welche die Eidgenossenschaft wiederholt fast zerrissen hätten.
Dem Bundesbrief also eine zentrale Rolle zuzusprechen ist historisch und sachlich ziemlich daneben. Die Schweiz würde auch ohne dieses Schriftstück existieren. Dieses Dokument ist ohne Zweifel ein wertvolles Schriftstück und ein interessantes Symbol. Aber auch nicht mehr.
Zudem sind die Gefahren, dem er auf seiner US-Reise ausgesetzt ist, nicht wirklich erheblich. Etwas anderes zu behaupten, ist Panikmache.
Worum geht es den Mörgelis, den Schwanders und den anonymen Geldspendern im Hintergrund denn wohl? Könnte es allenfalls daran liegen, dass die SVP endlich mal wieder patriotisches Gelände besetzen will?
Seit Christoph Blocher nämlich in der Regierung sitzt und so auch der rechte SVP-Flügel domestiziert wurde, erfahren die Rechtsaussen der Schweizer Demokraten nämlich wieder Auftrieb. Vor zwei Jahren waren die SD praktisch am Ende, jetzt gründen Sie munter neue Kantons-Sektionen. Seit auch niemand mehr ernsthaft in die EU will – Bilateralen sei Dank – hat die SVP auch diesen patriotisch besetzten Kampfplatz verloren. Zudem werden die Bauern – einst SVP-Stamm-Klientel – immer weiter durch die Realpolitik der SVP entfremdet.
Die Suche muss ziemlich verzweifelt gewesen sein, dass sich Mörgeli auf den Bundesbrief stürzen musste, um die SVP wieder ins Gespräch bei den Patrioten zu bringen. Denn nur darum ging es. Ernsthaft glauben, dass Schwyz den Bundesbrief verkaufen würde, kann ja wohl kaum einer der Exponenten dieses Publicity-Stunts.
So wird der Bundesbrief wohl in die USA gehen, die SVP-Rechte wird noch ein wenig toben und sobald das Dokument zurück ist, wird kein Mensch mehr davon sprechen. Das Ganze wird sich spätestens dann als eine Nullnummer entpuppen, die es nur darauf anlegte, mit dem Bundesbrief etwas Parteipropaganda zu betreiben.
Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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