Freitag, 23. September 2005 / 12:35:49
«Rita» ante portas...
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…und alle stecken fest. Zumindest einen Vorwurf kann man den Behörden nicht machen: Dass sie im Vorfeld von Hurrikan «Rita» die Leute nicht zur Evakuation aufgefordert hätten. Doch das – so scheint es – war es denn auch schon beinahe.
Denn im Moment stecken Hunderttausende von Menschen auf den Ausfallstrassen um Houston fest. Gefangen in einem Stau unglaublichen Ausmasses. Nichts geht mehr. Sollte der Sturm die fest sitzenden Autofahrer erfassen, muss mit einem Massaker gerechnet werden.
Ausgelöst wurde die unkoordinierte Massenflucht durch den Aufruf von Bürgermeister Bill White, der am Mittwoch die Bewohner von Houston alarmierte. «Wartet nicht,» sagte er, «die Zeit zu warten, ist vorbei! Folgt nicht dem Beispiel von New Orleans und hofft, dass euch jemand holen kommt!»
Nun hat Houston allein schon mehr als 2 Millionen Einwohner und mit der umliegenden Agglomeration kommt man auf über 5 Millionen. Diese Leute hörten ihren Bürgermeister und sie hatten die Bilder von Katrinas Verheerungen in New Orleans noch frisch in Erinnerung. Die Reaktion war eigentlich vorhersehbar. Aus allen Stadteilen strömten die Autos auf die Ausfallstrassen und brachten den Verkehr innert Stunden zum Zusammenbruch. Vielen Autos ist unterdessen in dem Megastau das Benzin ausgegangen, viele andere sind in der Hitze und dem stundenlangen stop-and-go zusammen gebrochen.
Richter Robert Eckels, der in dem Bezirk der Chef der Heimatschutzbehörde – und somit auch des Katastrophenschutzes – ist, war offenbar erstaunt darüber, was da abging. Er und der Bürgermeister relativierten am Donnerstag den Aufruf zur kopflosen Flucht aus der Stadt. Stattdessen hiess es nun, dass nur die Leute aus den offiziellen Gefahrengebieten ihre Häuser verlassen sollten.
Zu dem Verkehrszusammenbruch, der da statt gefunden hatte, meinte Richter Eckels hingegen nur: «Das war nicht im Plan!»
Oder, wie Jack Colley, der Chef der texanischen Notfall-Koordination meinte, sei es unvorhersehbar gewesen, dass so viele Leute dem Evakuationsaufruf folgen würden.
Aber die Behörden sind nicht untätig: Tankwagen sind unterwegs, um Benzin zu verteilen, Wasser wird an gestrandete Autofahrer abgegeben, es wird alles versucht, die Leute wieder mobil zu machen. Ein Rennen gegen die Zeit.
Auch darf man nicht vergessen, dass Houston es meisterlich geschafft hatte, die Katrina-Flüchtlinge auf zu nehmen – die Leute nun unfähig zu schelten wäre unfair. Die Notfallplanung hingegen erweist sich als ungenügend.
Es gelang nicht, beide Seiten der Autobahnen für die hinausströmenden Bevölkerungsmassen zu öffnen. Es gelang nicht, Benzinvorräte im Vorfeld an den Fluchtrouten auf zu stocken. Der Plan, zuerst die gefährdetsten Gebiete zu evakuieren, wurde nicht eingehalten. Der Exodus fand nicht gestaffelt sondern sehr planlos statt.
Bill King, ehemaliger Bürgermeister von Kemah, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Houston, hielt den Kollaps für unvermeidlich: «Es gibt nun einmal nur so viele Strassen und wenn man versucht, diesen ganzen Verkehr dort rein zu stopfen, dann wird das einfach nicht funktionieren. Es war absolut vorhersehbar.»
Es ist zu hoffen, dass möglichst viele Leute noch von den Strassen hinunter gerettet und vor dem Hurrikan in Sicherheit gebracht werden können. Doch egal, wie erfolgreich dies noch gelingen wird, die US-Katastrophenplanung schaut wiederum nicht allzu gut aus: Ihr Scheitern ist schon vor dem Sturm eine Realität.
Doch vielleicht ist dies für Präsident Bush nicht allzu schlecht – immerhin kann ihm niemand mehr vorwerfen, dass Rassismus hinter dem Versagen in seinem Heimatstaat steht. Erstaunliche Zeiten, in denen Inkompetenz und Nachlässigkeit zu positiven Attributen werden...
von Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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