Sonntag, 23. Juli 2006 / 16:33:10
Zypern quillt über
Nikosia - «Wir sinken», stöhnt der zyprische Aussenminister Giorgos Lillikas angesichts des Massenansturms von Libanon-Flüchtlingen. Die Regierung schätzt, dass bisher rund 25 000 Ausländer auf der Flucht vor dem Bombenhagel auf der Insel gelandet sind.
Die Zahl könnte sogar noch auf 75 000 anschwellen - und das zum Höhepunkt der Touristensaison. Die Europäische Union sagte Zypern am Samstag nach einem Hilferuf Unterstützung zu, um den Massenansturm der Flüchtlinge aus dem Libanon zu bewältigen. Zypern hatte am Vortag um zusätzliche Flugzeuge gebeten.
Bloss nicht bleiben
Die kleine Mittelmeerinsel, die zur Drehscheibe der massiven Evakuierungsaktion geworden ist, will aber lediglich Transitland sein. Bleiben sollen die Flüchtlinge auf gar keinen Fall.
Für die Behörden ist die Flüchtlingswelle ein logistischer Albtraum. In Larnaka und Limassol laufen ständig neue Fähren, Kriegs- und Kreuzfahrtschiffe mit evakuierten Europäern, Amerikanern und anderen Ausländern ein. Auch der Flughafen Larnaka hat die Kapazitätsgrenze erreicht.
Maschinen kreisen in der Warteschleife, um neue Flüchtlinge zu bringen und andere weiter in ihre Heimat zu fliegen. In der Ankunfts- und Abflugshalle am Airport herrscht ein seltsames Nebeneinander von unbeschwerten hemdsärmligen Urlaubern und Menschen, die vielleicht gerade eben dem Tod entronnen sind.
Notlager
«Die Menschen im Libanon kommen ums Leben. Das ist eine ganz entsetzliche Erfahrung», sagt die Amerikanerin Gloria Mansouraty, die mit ihrem Sohn im Libanon Urlaub machen wollte, der Zeitung «The Cyprus Weekly».
Wie die beiden sind Hunderte anderer Amerikaner vorübergehend in einem Notlager im Herzen von Nikosia untergekommen. Die USA haben dort kurzerhand das staatliche Ausstellungscenter gemietet.
Zwischen einem Meer von orangen Feldbetten und Armeedecken spielen Kinder im Gewirr der Menschen mit geschenktem Spielzeug oder sehen Zeichentrickfilme im Fernsehen. «Sie tun hier ihr Bestes, aber mit 500 Leuten in einem Raum, das ist wirklich kein Vergnügen», berichtet die 33-jährige Hala Hakim, die Mutter zweier Kinder ist.
Zyperns Dilemma
Auch 25 Schulen in Limassol und Larnaka sind in Notunterkünfte umgewandelt worden. Andere Flüchtlinge kommen in Hotels unter. Nach Angaben des US-Botschafters in Zypern, Ronald Schlicher, sind bislang 5700 US-Bürger über Zypern evakuiert worden.
Asiatische Länder wie Indien, aber auch Mexiko und Russland, aus denen viele Gastarbeiter im Libanon tätig sind, haben die Behörden um Hilfe bei der Rückkehr ihrer Staatsangehörigen gebeten.
«Wir stehen vor einem Dilemma», sagte Aussenminister Lillikas am Freitag: «Wir müssen entscheiden, ob wir die humanitäre Hilfe mit den Mitteln, die wir haben, fortsetzen - oder aber die Evakuierung von Nicht-Europäern über Zypern einstellen.»
Masis de Partogh, dpa (Quelle: sda)
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