Mittwoch, 2. November 2005 / 07:50:38
Die neuen heiligen Kühe
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Es wird immer wieder behauptet, dass sich die Religiosität aus unserem Alltagsleben verabschiede. Das mag vielleicht für die Präsenz der Kirchen gelten, doch der moderne Mensch der westlichen Gesellschaft hat sich schon längst Reserven geschaffen, die er mit dem gleichen Fanatismus und der gleichen Irrationalität betreibt wie einst die Flagellanten ihren Glauben an den Herrn.
Momentan springt einem gerade die Genfood-Debatte ins Auge. Es geht dabei – könnte man glauben – um rational nachvollziehbare Fragen, um Abwägungen, die vernunftbegabte Wesen anhand von Fakten und dem momentanen Wissen vollziehen können.
Doch nichts da... es wird mit schlechten Gefühlen, diffusen Ängsten, unbeweisbaren Horrorgeschichten und Visionen, die aus den Offenbarungen des Johannes stammen könnten, auf die Gentechbefürworter eingehauen. Wer dafür ist, ist ein Monster, wer dagegen ist, hat hingegen den wahren Weg gefunden. Dabei sind die Wahrheit und Tatsachen nicht von Belang. Wer nicht glaubt, ist verdammt.
Auch die Symbolik, die von den Gentechgegnern benutzt wird, erinnert stark an religiöse Riten: Die Gentechnik wird mit Totenköpfen und Visionen, die an die Darstellungen aus den Pestzeiten erinnern, symbolisiert (obwohl noch kein einziges Todesopfer der Gentechnik bekannt ist). Die Gentech-Freiheit hingegen durch kitschig-paradiesische Heils-Symbolik.
Es hört da natürlich nicht auf. Eine weitere Surrogat-Religion ist die sogenannte Alternativ-Medizin. Schon die einzelnen Praktiken (wie zum Beispiel die Homöopathie oder Bachblüten) beinhalten Riten, die an die Praktiken von Medizinmännern erinnern. Auch dass die Wirksamkeit noch nie in kontrollierten Studien nachgewiesen wurde, ist nicht wichtig, denn es ist vor allem entscheidend, dass man daran glaubt. Globuli als Jesus-Ersatz.
Doch auch in der Schulmedizin gibt es Felder, die eher religöse als wissenschaftliche Züge an sich haben. Als erstes kommt einem dabei natürlich die Psychotherapie in den Sinn, deren verschiedene Schulen Grabenkämpfe austragen, wie sie sonst zwischen den Dogmen einer Religion stattfinden. Aber auch andernorts wird immer noch einfach betrieben, was der Chefarzt meint und überliefert wurde. Die sogenannte Evidenz-Basierte Medizin – dies ist Medizin, die sich knallhart an statistisch erhärtete Fakten hält – setzt sich erst langsam durch, was erschreckend ist. Erfreulich ist allerdings, dass diese Methode gute Chancen hat, sich durchzusetzen, auch wenn sie – zumindest für gewisse Oberärzte – unbequem ist, da sie nach erhärtetem Wissen und nicht mehr aus einer Hohepriester-Position heraus handeln können und die starren Hierarchien in Spitälern so aufgebrochen werden.
Wir haben in unserer Informationsgesellschaft endlich die Möglichkeit, unsere Entscheidungen auf Grund von Fakten, die uns gut zugänglich sind, zu treffen. Doch merkwürdigerweise ziehen es immer mehr Menschen vor, ihr Leben nicht nach Wissen, sondern auf Grund von Vorurteilen, simplifizierenden Glaubenssätzen, diffusen Gefühlen und vorgefassten, auf Wunschdenken basierenden Meinungen zu gestalten.
Besonders schlimm ist es, wenn Politiker solchen Ersatzreligionen und Religiönchen anhängen und ihr Handeln danach ausrichten – sei es aus Populismus wieder besseres Wissen oder einfach aus Naivität. Denn es wäre ihr Job, sich objektiv zu informieren und dieses Wissen den Wählern zu vermitteln. Doch dieses Ideal ist momentan weiter weg denn je. Dies beginnt beim «Gottseibeiuns-Präsidenten» der USA und geht durch bis zur «Gentech-Säulenheiligen» Ständerätin Simonetta Sommaruga.
Dass bei solchen Verführungspersönlichkeiten auch im Volk immer mehr geglaubt als gewusst wird, ist klar. Die Konsequenzen können und werden drastisch sein. Doch immerhin werden alle sagen können, sie hätten zutiefst geglaubt, das Richtige zu tun. Auch wenn sie es besser hätten wissen können.
von Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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