Donnerstag, 13. Oktober 2005 / 11:36:36
Zum Glück »nur« 21'000
In Pakistan bebte am letzten Samstag für nur wenige Sekunden die
Erde. In ganz Südasien zittern die Menschen aber weiter. Denn jetzt
ist klar, wie wenig der südasiatische Raum auf Erdbeben vorbereitet
ist.
Trotz über 21'000 Toten; trotz Seuchengefahr; trotz sehr langsam
anlaufenden Hilfsmassnahmen: es hätte in Südasien alles noch viel
schlimmer kommen können.
Besonders schlimm sieht der Katastrophenschutz in Bangladesch aus,
einem Land, das meist mit verheerenden Überschwemmungen in den
Schlagzeilen ist. Experten vom Institut für Katastrophen-Forschung in
der Hauptstadt Dhaka schlagen dieser Tage Alarm und finden in den
Medien Gehör.
Sie sagen: Würde im Umkreis von 100 Kilometern um Dhaka ein Erdbeben
wie am Samstag die Stärke 7.6 erreichen, müsste man mit
Hundertausenden Todesopfern rechnen.
Bangladesch mit seinen 150 Millionen Menschen liegt mit Nordindien,
Pakistan, Afghanistan und Iran in einem sehr aktiven Erbebengürtel.
Dass das letzte grosse Erbeben mehr als 100 Jahre zurück liegt, sei
reine Glückssache, so Experten. 1897 bebte die Erde mit einem
Epizentrum der Stärke 7 in 250 km Entfernung von Dhaka. Damals
starben 1542 Menschen. 50 Prozent der Gebäude wurden teilweise oder
ganz zerstört.
Nur: Damals lebten 90'000 Menschen in Dhaka. Heute sind es 15
Millionen. Rechnet man die Todesopfer hoch, kommt man auf ungefähr
250 000 Todesopfer. Und diese Zahl ist vermutlich noch sehr optimistisch.
Und: Die Gebäude am Ende des 19. Jahrhunderts waren Erdbeben resistenter als die
meisten neueren Gebäude der Stadt heute. Kommt noch dazu, dass in den
letzten Jahren angefangen wurde, in die Höhe und nicht mehr in die
Breite zu bauen.
In einem etwas hilflosen Aufruf über Fernsehen und Zeitung fordert der Katastrophenschutz von Bangladesch mehr Gelder, um besonders
gefährdete Gebäude zu renovieren, in dichtbesiedelten Gebieten «Notausgänge» vorzubereiten und diejenigen Gebäude ganz abzureissen, die sehr brandgefährdet seien (das würde eigentlich bedeuten, die
ganze Altstadt von Dhaka zu zerstören).
In einem Land, in dem 100 Millionen Menschen mit 2 Dollar am Tag
auskommen, ist es einfach auszurechnen, dass der Aufruf nach mehr
Geld im Nichts verhallt. In wenigen Wochen wird der ganze Aufruhr um
Erdbeben auf den Agenden der Politiker weit zurückgestellt, die
Stadtbevölkerung wird weiter expandieren und es wird weiter um die
Wette gebaut, wo und wie es nur geht; bis eines Tages die Metropole
Dhaka vom nächsten Erdbeben dem Erdboden gleich gemacht wird; und
Hunderttausende sterben.
von Barnaby Skinner, Dhaka (Quelle: news.ch)
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