Montag, 18. Juli 2005 / 09:46:06
Nährboden für militanten Islamismus
Islamabad - Der Lehrplan ist so überschaubar wie eingängig. In den mindestens zehntausend Medresen in Pakistan büffeln die Schüler tagein, tagaus den Koran und die Grundlagen der islamischen Theologie, zumeist in einer extrem militanten Variante.
In einer Atmosphäre der Weltabgewandtheit und tiefer Religiosität werden in Pakistan schätzungsweise 1,5 Millionen Kinder und junge Leute an religiösen Schulen unterrichtet - weitgehend unkontrolliert von der Regierung.
Internationale Terrorfahnder haben diese Schulen und Trainingslager schon lange im Blick, gelten sie doch als Brutstätten des radikalislamischen Terrorismus, als Rekrutierungsstelle für den Dschihad. Die Ermittlungen nach den Terroranschlägen von London zeigen: Spuren führen nach Pakistan.
War es womöglich diese religiös-ideologische Schulung, welche die Londoner Attentäter im Kopf hatten, als sie mit den Bomben im Gepäck in die U-Bahn und den Doppeldeckerbus stiegen, um sich selbst und möglichst viele andere in die Luft zu sprengen? Drei der vier Attentäter waren im vergangenen Jahr in Pakistan.
Enge Verbindungen zu Heimat
Zwischen dem pakistanischen Medresen-System und der ehemaligen Kolonialmacht Grossbritannien bestehen traditionell enge Verbindungen. Viele Pakistaner, die vor Jahrzehnten auf die europäische Insel ausgewandert sind, schicken ihre Kinder für eine begrenzte Zeit auf solche Schulen in der Heimat.
Nicht, um sie zu Terroristen werden zu lassen, sondern ganz einfach in der Absicht, die Kinder mit ihrer Herkunft und ihrem Glauben vertraut zu machen, sagt die pakistanische Menschenrechtlerin Kamila Hyat.
Viele dieser jungen Leute hätten in Grossbritannien jedoch bittere Erfahrungen mit sozialer Ausgrenzung gemacht. Bei ihnen fallen radikale Parolen auf fruchtbaren Boden: "Viele der pakistanischstämmigen Jugendlichen aus Grossbritannien sind sehr extrem."
Zuflucht für Entwurzelte
"Sie betrachten die westliche Kultur, die Bars, die Nachtclubs, als dekadent", sagt Hyat. In den pakistanischen Medresen würden Extremisten gezielt ihren Nachwuchs rekrutieren. Viele dieser Schulen würden von Pakistanern in Grossbritannien finanziert.
Die entwurzelten jungen Leute suchen Zuflucht in der Sicherheit des Glaubens, in der Unumstösslichkeit religiöser Grundsätze. Die Religionsschulen bedienen diese Sehnsucht, urteilt der Politikwissenschafter Hasan Askari von der Universität in Lahore.
Erbe des Kalten Krieges
Immer wieder verweisen Pakistaner darauf, dass es der Westen war, allen voran Washington, der Pakistan zu einem fruchtbaren Nährboden für die Islamisten machte. 1979 war die sowjetische Armee ins benachbarte Afghanistan einmarschiert, das pro-amerikanische Pakistan wurde zum Frontstaat im Kampf gegen die Kommunisten.
Unterstützt vom US-Geheimdienst CIA liess es der Militärdiktator Zia ul-Haq zu, dass radikalislamische Mudschahedin-Kämpfer auf pakistanischem Boden tausende Trainings- und Schulungslager errichteten. Die US-Armee lieferte Waffen und beteiligte sich an der Ausbildung.
Westen als Zauberlehrling
Mit dem Wohlwollen der Behörden florierte das islamistische Milieu in Pakistan, und nach dem Rückzug der UdSSR aus Afghanistan 1989 bestand es unverändert fort. Zuerst waren es die afghanischen Taliban, die aus diesen Schulen kommend in die Heimat zurückkehrten. Doch auch zahlreiche Pakistaner wurden dort mit dem Dschihadismus infiltriert. Es scheint, dass der Westen die Geister, die er in Pakistan rief, nicht mehr los wird.
Danny Kemp (Quelle: sda)
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