Dienstag, 21. Januar 2014 / 11:54:00
Wenn Zottel rechnet
Letzte Woche ist dem Autor ein wirklich grosser Stein vom Herzen gefallen. Ängste, die ihn seit Monaten geplagt hatten, legten sich endlich wieder. Die Schlagzeile war ein wirkliches Beruhigungsmittel für ihn: «Kanzlerin Merkel wird nicht mehr von der NSA abgehört!» Wenn das keine gute Nachricht ist - was ist dann noch eine?
Endlich würde die deutsche Kanzlerin wieder frei an ihrem Handy reden können, ohne Angst zu haben, dass ihre tröstenden Worte für den neuesten Parteifreund, der seinen Doktortitel zurückgeben musste, von anderen Ohren mit gelauscht werden würden. Und noch glücklicher ist der Autor für jene NSA-Agenten, denen es jeweils aufgetragen war, die Kanzlerin zu belauschen.
Wer die Deutsche Kanzlerin je bei Reden ohne Blatt und Teleprompter erleben durfte, weiss nämlich, dass auch einfache Worte pure Qual sein können, werden sie nur von der richtigen Person ausreichend falsch aneinander gereiht. Hätten die USA für diese Aufgabe Guantanamo-Häftlinge eingesetzt, wäre der weltweite Aufschrei der Menschenrechtsaktivisten unüberhörbar gewesen.
Doch so musste wahrscheinlich eine Reihe emigrierter Ex-Stasi-Agenten, die ihre Talente auf dem freien Markt verkauften und so über einen Schieber an die NSA gelangt waren, daran glauben. Für die Kerle dürfte ihre baldige Arbeitslosigkeit zwar wirtschaftlich verheerend, aber psychisch heilsam sein.
Ob die NSA-Spezialisten für das Schweizerdeutsche und das Deutsch-Schweizerische ebenso aufatmen dürfen, ist nicht wirklich klar, denn es hiess nur, dass die Staatschefs und Regierungen befreundeter Länder nicht mehr bespitzelt werden würden. Ob die Schweiz in diesen erlesenen Kreis gehört oder nicht, lässt sich so einfach nicht sagen. Falls nicht, gebietet der Autor hier denen, die dafür zuständig sind, Zottel und Co. zu belauschen, sein aufrichtiges Mitleid aus. Wobei jene, welche für die Beobachtung der SVP und ihrer Aktivitäten zuständig sind, unterdessen vermutlich zum Schluss kommen, dass die Repräsentanten der grössten Schweizer Partei nicht jenseits von Grundstufenrechnen mit Zahlen umgehen können.
Denn anders lässt sich das letzte «Zuwanderungsinserat», bei dem gefolgert wird, dass es 2060 mehr Ausländer als Schweizer in der Schweiz geben werde, nicht erklären. Zugegeben: lineare Funktionen sind für einfache Gemüter wirklich verlockend. Allerdings nicht wegen ihrer Aussagekraft, sondern weil Sie so einfach sind, dass sie sogar ein Ziegenbock begreifen kann (ob Zottel wohl die Rechnung aufgestellt hat?). Wenden wir eine solche Funktion nämlich zum Beispiel auf die Temperatur an einem Frühlingstag an, an dem von 6 Uhr Morgens bis Mittags die Temperatur von 5°C auf 22°C steigt, wäre die logische Folgerung bei einer linearen Funktion, dass um 6 Uhr abends 39°C und um Mitternacht 56°C herrschen würden. Spätestens am nächsten Abend würde alles ganz von selbst in Flammen aufgehen.
Oder nehmen wir die Wachstumskurve von Kleinkindern. Ein Kind mit einem Geburtsgewicht von 3 kg kann nach dem ersten Jahr gut 11 kg wiegen. Das heisst nach SVP-Linear-Funktionslogik, dass 10-Jährige 83 kg, 15-Jährige 123 kg und 30-Jährige 243 kg wiegen müssten. Wirklich alarmierend.
Oder nehmen wir den Ausländeranteil in der Schweiz. 1910 betrug er 15%, 2013 23,2%. Das ergibt, linear berechnet, einen jährlichen Anstieg von 0,08%, so dass es, bis die Mehrheit der Bevölkerung in der Schweiz aus dem Ausland stammt, etwas mehr als 300 Jahre gehen wird. Womit ein weiteres Beispiel Schweizer Qualitätsmathematik gegeben wäre.
Sollte das obige Argument des Autors in nächster Zeit in die offene politische Diskussion einfliessen und von NSA-Agenten zusammen mit gewissen Abstimmungsargumenten als Indikator des Bildungsstandes der Schweizer Bevölkerung interpretiert werden, dürfte im nächsten Bericht über die Schweiz vermerkt sein, dass die Schweiz auf dem Weg in die Steinzeit ist und man, da es hier auch keine nennenswerten Rohstoffe gibt, seine Ressourcen auf andere Länder, wie zum Beispiel den Vatikanstaat oder Andorra konzentrieren solle.
Und dies wäre dann ja wohl ein weiterer Grund für echte Erleichterung und Seelenfrieden - sowohl für uns, als auch für die von uns erlösten NSA-Spitzel.
Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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