Donnerstag, 11. Juli 2013 / 09:27:56
Achtung: Landeskirchliche Pflöcke!
Während sich die Kirchen zusehends leeren, versuchen die Zürcher «Landeskirchen» noch ein paar Pflöcke einzuschlagen: An den Volksschulen und in den Spitälern wird aufgerüstet, was das Zeug hält, um religiöse Mythen an wehrlose Kinder und Kranke zu bringen und damit vielleicht in die nächsten Generationen hinüberzuretten oder wenigstens die eigenen Staatsbeiträge zu sichern - die Politik spielt leider mit.
Im Kanton Zürich hat der Bildungsrat die neu erarbeiteten Lehrmittel zum Zürcher Sonderfach «Religion und Kultur» vorgestellt. Wie von den Freidenkern früher schon kritisiert, findet sich darin vor allem viel Spezialwissen über religiöse Praktiken, aber kaum etwas über kritische Zusammenhänge in der Geschichte. Das Wenige über Atheisten, das man darin lesen kann, wird dafür - skandalös! - ausschliesslich im Kontext von totalitären Systemen thematisiert. Nichts über die Aufklärung, nichts über Religionskritik. Der grösste Teil der Kinder dürfte ihre Lebenswelt in diesem Fach nicht wiederfinden. Ihre Eltern stehen - wie die Gesamtbevölkerung - den Religionen mehrheitlich distanziert gegenüber und praktizieren nicht. Je nach Präsentation durch die Lehrkraft könnte jedoch bei den SchülerInnen der - wohl beabsichtigte - Eindruck entstehen, es fehle ihnen etwas, wenn sie am bunten religiösen Treiben nicht teilnehmen. Damit sind die Weltreligionen unter der Führung der «Landeskirchen» im Zürcher Bildungskanon gelandet, die faktische Nichtreligiosität der Bevölkerung wird ignoriert, Mythen und Traditionen werden als gelebte Realität verkauft - Bildungsrat und Bildungsministerin billigen dies.
Ebenfalls im Kanton Zürich wollen die «Landeskirchen» sich gemäss Zeitungsberichten auch noch auf eine weitere Zielgruppe konzentrieren, die sich nur schlecht wehren kann: Aus den offenbar immer noch sehr reichlich vorhandenen Finanzen (etwa aus Staatsbeiträgen aus allgemeinen Steuermitteln und Kirchensteuern von juristischen Personen) soll ein Lehrstuhl an der Uni Zürich errichtet werden, der für angehende Mediziner obligatorische Vorlesungen über Spiritual Care anbieten soll - weil «der kranke Mensch empfänglich ist für spirituelle Impulse». Die «Landeskirchen» finden es «an der Zeit, jetzt hier in Zürich einen Pflock einzuschlagen», d.h. ihren Zugriff über ihren bereits privilegierten Zugang via Spitalseelsorge hinaus erweitern und auch noch die Ausbildung der Ärzte mitzubestimmen - bei der Uni seien sie «auf offene Ohren gestossen».
Die Kirchen wissen wohl, dass sie den absehbaren Schwund nur durch institutionelle Verankerungen hinauszögern können. Sie verfolgen diese Strategie bereits seit den 1960er-Jahren, als sich mit den ersten Austrittswellen konfrontiert sahen: Angefangen mit den Gesetzen über die Kirchensteuerpflicht der juristischen Personen über christliche Präambeln in erneuerten Kantonsverfassungen bis zur Einschleusung christlicher Zielsetzungen in den kantonalen Schulgesetzen. Schritt für Schritt wurde, was in der gelebten Realität langsam aber sicher verschwand, institutionell gesichert. Deshalb auch der Versuch, einen Religionsartikel in die Bundesverfassung zu hieven, oder dort gar christliche Symbole explizit zu schützen. Beide Vorhaben sind kürzlich im Parlament gescheitert, ebenso wie alle Versuche von katholischer und evangelikaler Seite, die Sterbehilfe zu kontrollieren und via Krankenversicherung die Fristenlösung anzugreifen - hier macht die Politik nicht mehr mit.
Neuester Coup ist eine von den Aargauer «Landeskirchen» angekündigte gemeinsame Stelle für Diakonie und Seelsorge im neuen Asylzentrum in Bremgarten AG. Wenn der Bund das wirklich zulässt, erhalten die «Landeskirchen» einen privilegierten Zugang zu AsylbewerberInnen. Die Mehrheit dieser Menschen dürfte weder katholisch noch reformiert sein. Eine Verbindung von Religion und Asylbetreuung in einem Bundeszentrum ist grundsätzlich abwegig, der Bund sollte hier nicht dem schlechten Beispiel des Kantons Bern folgen, wo die Betreuungsaufgaben der Heilsarmee übertragen wurden.
Steigbügelhalter für die Anliegen der Kirchen sind neben den Konservativen auch die Sozialdemokraten, welche zwar seit 2010 die Trennung von Staat und Kirche wieder im Parteiprogramm führen, in der Praxis aber nicht einfordern, und auch bei den Grünen ist die Affinität zu den Reformierten eher grösser als in der Gesamtbevölkerung. Parallel dazu befinden die Evangelikalen sich auf dem Marsch durch die sozialen Institutionen und sorgen an Schulen, in Spitälern und Heimen selber dafür, dass sie ihre Missionsfelder nicht verlieren.
Auch wenn dies alles angesichts der fortschreitenden Säkularisierung lediglich Rückzugsgefechte der Kirchen sein dürften, diese systematischen Institutionalisierungsversuche sollten gestoppt werden!
Reta Caspar (Quelle: news.ch)
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