Dienstag, 13. März 2012 / 11:35:29
Kruzifixartikel - kein Glanzstück
Mit einer parlamentarischen Initiative will CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann das Anbringen christlicher Symbole im öffentlichen Raum in der Bundesverfassung schützen. Nach dem Minarettverbot nun noch ein Kruzifixartikel?
Die Initiative Glanzmann nimmt die Kritik der Freidenker an den Kruzifixen in der öffentlichen Schule zum Anlass, um die Symbole der christlich-abendländischen Kultur in der Öffentlichkeit per Verfassung schützen zu lassen. Das ist absurd. Jene Werte, die die westliche Zivilisation heute prägen - Menschenrechte, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Selbstbestimmung - wurden von der katholischen Kirche gerade nicht gefördert, sondern mussten gegen deren Widerstand erkämpft werden.
Es geht bei dieser Frage nicht um den persönlichen Glauben oder Nichtglauben. Der ist in der Verfassung bereits geschützt. Es geht darum, inwieweit eine (noch) Mehrheit in unserem Staat der Allgemeinheit eine religiöse Deutung zumuten darf, das heisst, um die längst überfällige praktische Durchsetzung der allseits beschworenen Trennung von Kirche und Staat. Solange Kruzifixe in Gerichten, Schulen, und anderen öffentlichen Gebäuden hängen, ist sie im Alltag nicht realisiert.
Das Bundesgericht hat bereits 1990 entschieden, dass Kruzifixe in Schulzimmern die Neutralitätspflicht des Staates verletzen. Dieses Urteil würde auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt, der sich kürzlich im Fall Lautsi gegen Italien für regional differenzierte Lösungen aussprach.
Die Kreise um Frau Glanzmann wollen mit dem Kreuz ein Stück «Heimat» verteidigen. In unserer heutigen pluralisierten Gesellschaft, kann aber der Staat den BürgerInnen keine religiöse Deutung mehr aufdrängen und müssen die BürgerInnen ihre persönlichen religiösen Überzeugungen zu Gunsten des öffentlichen Friedens zurücknehmen. Tatsächlich schreitet die Säkularisierung unserer Gesellschaft voran: rückwärtsgewandtes Verharren im Dogma, wie es im neusten Hirtenbrief von Bischof Huonder zutage tritt, befördern sie geradezu. Dass in dieser Situation ein Einsatz für eine verfassungskonforme, konfessionsneutrale Schule von Frau Glanzmann als «Nötigung» bezeichnet wird, zeugt von einem falschen Verständnis der Religionsfreiheit: sie verordnet Toleranz zugunsten der Minderheiten. Frau Glanzmann hingegen fordert die Diktatur der - rapid schwindenden - Mehrheit.
Die Kommissionen beider Räte haben das verstanden und die Initiative abgelehnt. Im Nationalrat wurde sie durch den Schulterschluss der Konservativen mit den Religiösen angenommen. Der Ständerat kann das noch korrigieren, denn ein Kruzifixartikel in der Verfassung wäre wahrlich kein Glanzstück.
Reta Caspar (Quelle: news.ch)
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