Donnerstag, 22. Januar 2009 / 10:54:57
Verdienen wir Demokratie?
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Die Reaktionen auf die Amtseinführung von Barack Obama in Europa sind positiv und voller Hoffnung. Dies vor allem, weil George W. Bush weg ist und endlich ein vernünftiger Mann an der Spitze der USA zu stehen scheint.
Doch wenn es um den Pathos der Inauguration geht und die Emotionen, die mit dieser Amtsübergabe einher gingen, bekunden viele Europäer, wie man es in Foren und Diskussionen lesen und hören kann, Mühe, wenn nicht sogar Befremden. Von Gefühlskitsch und Verlogenheit ist da die Rede, von Realitätsmangel und lächerlichem Patriotismus.
Da wird dann die «gesunde Distanziertheit» der Europäer zu ihrem politischen System gelobt und die Emotionalität der Amerikaner verachtenswert gemacht. Denn, so geht die Argumentation: Warum soll man wegen einer Selbstverständlichkeit so ein Theater aufführen?
Die Gegenfrage müsste eigentlich sein: Welche Selbstverständlichkeit? Dass ein Machthaber freiwillig aus seinem Amt zurück tritt? Dass der neue Herrscher nicht auf einem Panzer vor dem Regierungspalast vorfährt, während die Mitglieder der letzten Regierung an der Rückseite vor den Erschiessungskommandos aufgereiht werden? Dass die verängstigten Anhänger der letzten Regierung nicht in Gefangenenlager geschickt werden? Dass der Wahlkampf mit Worten und nicht mit Gewehren ausgetragen wurde?
Wer glaubt, dass eine Demokratie Selbstverständlichkeit ist, soll mal einige Geschichtsbücher aufschlagen oder einfach Nachrichten schauen. Die wenigsten Demokratien haben eine Tradition, die länger als 100 Jahre zurück reicht. Und selbst jene, die sie haben – wie auch die Schweiz – mussten durch harte Zeiten mit schweren Kämpfen gehen, bis sie in der Form etabliert war, wie wir sie heute kennen.
Das wirklich Gefährliche an dem Glauben, dass die Demokratie eine Selbstverständlichkeit ist, ist die Geringschätzung, die damit einher geht. Genauso wie alle anderen Selbstverständlichkeiten wie Strom, Wasser und Wärme, die unser Leben angenehmer machen, bemerkt man die Demokratie irgendwann gar nicht mehr richtig. Sie ist einfach da. Warum also noch darum kämpfen? Ganz einfach: weil wir alle ein Teil der Demokratie sind – wir sind der Staat!
Und zwar ein Staat, in dem man die Mächtigen kritisieren, karikieren und beschimpfen darf. Ein Staat, in dem es erlaubt ist, die Regierung anzugreifen und zu hinterfragen, da die Regierung im Auftrag von uns, den Bürgern, arbeitet. Ein Staat, der mit dem Widerstand der Bürger gegen seine Ungerechtigkeiten nicht geschwächt, sondern gestärkt wird. Doch die Zyniker der Demokratie haben dafür nur ein verächtliches Schnauben übrig: Begeisterung für so was? Lächerlich! Naiv!
Dabei ist es genau diese Einstellung, die die Demokratie an sich gefährdet, denn sie erlaubt den Mächtigen, dem Volk die Macht weg zu nehmen. Wenn bei den Schweizer Volksabstimmungen nicht einmal die Hälfte der Bürger an die Urnen geht, schmeisst die andere Hälfte gleichgültig ein unglaubliches Privileg ins Altpapier.
Unsere Demokratien sind alle im Kampf gegen Despoten, feudale Tyrannen und Diktatoren entstanden. Menschen haben ihr Leben für die Ideen von Freiheit und Chancengleichheit gegeben. Ihre Körper vermoderten längst in der Erde, als jene, die nach ihnen kamen – und dies sind auch wir – die Früchte dieser Opfer geniessen konnten und können.
Demokratie und Recht sind keine Geschenke, die einem Volk einfach so in den Schoss fallen. Wer im Namen der «gesunden Distanziertheit» daher labert, vergisst, dass die Demokratie sein Leben unmittelbar und ohne jeglichen Abstand betrifft – kann sein, dass er nur wegen ihr noch lebt und nicht schon längst von irgendwelchen Schergen eines Tyrannen umgebracht worden ist.
Demokratie muss immer wieder erbaut, erkämpft und verdient werden. Die Erosion durch Machtgier, Korruption und Gleichgültigkeit nagen ständig an ihren Fundamenten. Ein erster Schritt dazu ist es, dieser Staatsform trotz aller ihrer Mängel die entsprechende Achtung und Liebe entgegen zu bringen. Wäre es nicht Zeit dafür, dass wir, die wir der Staat sind, diese Tatsache jeweils auch feiern? So wie die naiven, patriotischen Amis, über die nun so viele hämisch grinsen? Denn vielleicht sind die sich trotz all unserer Vor- und Einwände immer noch der Tatsache bewusst, dass Demokratie etwas Tolles ist, über das wir uns freuen und wofür wir dankbar sein sollten.
von Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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