Montag, 17. März 2008 / 16:36:58
Bear Stearns: Neuer Höhepunkt der Finanzkrise
New York/Frankfurt - Die Finanzkrise hat ihr bislang prominentestes Opfer gefordert: Die fünftgrösste US-Investmentbank Bear Stearns entging nur haarscharf der Pleite und soll zum Schleuderpreis von der Grossbank JPMorgan übernommen werden.
Die seit vergangenem Sommer andauernden Turbulenzen an den Finanzmärkten erreichen damit ihren bisherigen Höhepunkt. Die US-Notenbank ist zwar erneut zur Stelle, sichert die Risiken der Übernahme grösstenteils ab und senkt den Diskontsatz.
Doch an den Börsen herrscht Panik vor einer Ausweitung der Krise - die Angst, dass weitere Institute ins Wanken geraten könnten, lähmt den Kapitalmarkt. Das Vertrauen der Anleger ist erschüttert - die internationalen Bankenwerte stürzten am Montag ab.
Bear Stearns hatte sich massiv am schwächelnden US-Hypothekenmarkt verzockt. Der Zusammenbruch zweier Hedge-Fonds der Bank im vergangenen Sommer markierte den Startpunkt der internationalen Krise.
Bis zum Schluss dementiert
«Davon hat sich die Bank vermutlich nie erholt», sagt Banken-Experte Reinhard Schmidt von der Goethe-Universität Frankfurt. Es folgten Milliarden-Abschreibungen und rote Zahlen. «Wenn ich hätte Wetten abgeben sollen, wen es als erstes trifft, dann wäre Bear Stearns sicher ein Kandidat gewesen», betont Schmidt.
Die Traditionsbank selbst dagegen wies noch in der vergangenen Woche alle Spekulationen um Liquiditätsengpässe als «lächerlich» zurück. Bis ihr am Freitag das Geld ausging. Am Wochenende wurden die Alternativen klar: Sofortiger Verkauf oder Insolvenz.
Das jüngste Kapitel der weltweiten Kreditkrise lässt für die Osterwoche nichts Gutes hoffen. Neben Bear Stearns berichten auch Goldman Sachs, Lehman Brothers und Morgan Stanley über den Verlauf des vergangenen Geschäftsquartals.
Warten auf Goldman Sachs
Wenn Goldman Sachs am Dienstag schlechte Zahlen und einen düsteren Ausblick veröffentliche, «haben wir den Rest der Woche nichts Gutes zu erwarten», sagt Bankenexperte Dirk Schiereck von der European Business School.
Das bisher von der Krise kaum betroffene Institut deutete bereits schwache Zahlen an. An der Wall Street werden Belastungen von rund 3 Mrd. Dollar erwartet. Schlimmer könnte es Citigroup oder Merrill Lynch treffen.
«Das Ende der Krise ist noch lange nicht abzusehen», sagt Schmidt. «Das wird noch massive weitere Konsequenzen haben. Und ich würde mich nicht wundern, wenn da noch Schlimmeres kommen würde.»
Riskante Übernahme
Für JPMorgan sei der Kauf von Bear Stearns sicher ein riskantes Geschäft - «aber riskant heisst nicht, dass es sich nicht lohnen könnte», sagt Schmidt. Dabei dürfte JPMorgan alles andere als uneigennützig handeln. «Wieviel Geld haben die Bear Stearns schon geliehen?» fragt Schiereck.
«Ist es da nicht besser, noch etwas Geld nachzuschiessen und den Laden zu kaufen, statt alles zu verlieren?» Zumal der Preis zeigt, wie schlimm es um Bear Stearns gestanden haben muss: Zwei Dollar je Aktie - bezahlt werden soll zudem in Papieren von JPMorgan und nicht in bar.
Vergangenen Freitag war das Bear Stearns-Papier nach einem Kurseinbruch noch 30 Dollar wert. Vor gut einem Jahr stand es bei mehr als 170 Dollar.
Auftakt zu Konsolidierungswelle
Nach den Milliardenabschreibungen in den vergangenen Monaten scheint JPMorgan nun die lange erwartete Marktbereinigung und eine neue Konsolidierungswelle einzuläuten. «Jetzt kommt die Zeit, in der die, die recht gut durch die Krise gekommen sind, günstig zukaufen können», sagt Bankenexperte Schiereck.
JPMorgan sei bisher so glimpflich wie kaum ein Wettbewerber davongekommen. Unter den US-Banken gebe es kaum ernstzunehmende Konkurrenten, die sich an Übernahmeschlachten beteiligen könnten. Ausser JPMorgan könnte derzeit allenfalls noch Goldman Sachs eine Übernahme wie die von Bear Stearns stemmen, schätzt der Experte.
Weitere Opfer befürchtet
Viele kleinere US-Institute könnten in den kommenden Monaten der Krise zum Opfer fallen. Am Markt wird sogar befürchtet, es könnte auch die Citigroup treffen. «Da dürfte dann auch JPMorgan zu klein sein, um rettend zur Seite zu stehen», sagt Schiereck. Dann bliebe wohl nur ein Einschreiten der US-Regierung selbst - oder einer der Staatsfonds aus Asien und Nahost als Retter.
Im Herbst waren solche Investoren erstmals im grossen Stil bei Banken in Europa und Amerika eingestiegen - und hatten Instituten wie Citigroup, Merrill Lynch und UBS mit Finanzspritzen wieder auf die Beine geholfen.
von F. Johannsen/K. Schulte-Bunert, dpa-AFX (Quelle: sda)
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