Dienstag, 17. April 2012 / 10:00:00
Energiezukunft Schweiz - sind Aussagen bis 2050 möglich?
Studien und Szenarien zur Energiezukunft in der Schweiz (und anderswo) haben Hochkonjunktur. Dies nicht nur aufgrund der begrenzten fossilen Energieträger und der klimarelevanten Komponente der Energiepolitik, sondern auch im Hinblick auf den anvisierten gestaffelten Ausstieg aus der Kernenergie.
Es wird dabei kontrovers über die Relevanz der Ergebnisse diskutiert und ein beliebtes Killer-Argument lautet: Prognosen sind über 40 Jahre gar nicht möglich, also sind alle Aussagen höchst spekulativ. So geschehen - oft mangels einer vertieften Auseinandersetzung? - mit der im November 2011 veröffentlichten Studie «Energiezukunft Schweiz» der ETH Zürich (>siehe weiterführende Links)
Szenarien sind keine Prognosen - sondern «Spaziergänge in die Zukunft».
In der Tat: Keiner kann die Zukunft des Energiesystems vorhersagen, selbst für kürzere Perioden nicht. Dies, weil die Dynamik und Komplexität des Gesamtsystems kaum quantitativ erfassbar ist mit seinen technologischen, wirtschaftlichen, politischen und sozialpsychologischen Dimensionen.
Und trotzdem: Sinnvolle Aussagen sind möglich über Trends, wahrscheinliche und weniger glaubwürdige Entwicklungspfade sowie fundamental limitierende Faktoren. Dazu verwenden wir Energiewissenschaftler die Szenariotechnik, welche sich insbesondere der «what-if»-Methode bedient. Dabei bilden wir verschiedene, auch wenig wahrscheinliche «Energiezukünfte» modelmässig ab. Diese «Energiezukünfte» entstehen aus Kombinationen wichtiger Parameter wie beispielsweise der Bevölkerungszahl, des Pro-Kopf-Einkommens oder der Kostenentwicklung verschiedener Technologien. Aus den Modellen lernen wir äusserst Nützliches über die Wechselwirkungen und Reaktionszeiten einzelner Systemkomponenten und über «Stellschrauben», um das gesamte Energiesystem in eine optimale Richtung lenken zu können. Die Zukunft wird schliesslich sowieso etwas anders aussehen, aber: Die mentale Repräsentation der Entwicklungsmuster und der internen Systemdynamik hilft uns, strategisch wichtige Pflöcke zu setzen und bei (auch radikalen) Abweichungen zielgerichtet und adäquat zu reagieren.
Studie zur Energiezukunft der Schweiz
Zwischen April und November 2011 befasste sich eine interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppe an der ETH Zürich mit der folgenden Fragestellung:
«Ist für die spezifische Situation der Schweiz die Einhaltung der klimarelevanten Ziele um etwa 2050, unter gleichzeitigem gestaffeltem Ausstieg aus der Kernenergie von 2020 bis etwa 2040, grundsätzlich möglich? Wenn ja: unter welchen Voraussetzungen ist dies am ehesten zu realisieren?»
Die Fragestellung lässt prinzipiell die folgenden Aussagen als adäquates Ergebnis zu:
Ein schrittweiser (gestaffelter) Atomausstieg unter Einhaltung klimarelevanter Ziele bis 2050 ist
A. aus grundsätzlichen, insbesondere technologischen oder wirtschaftspolitischen Gründen nicht möglich.
B. vergleichsweise einfach zu gestalten, bzw. bei einem entsprechenden politischen Willen innerhalb einer überschaubarer Zeitperiode realisierbar.
C. sehr ehrgeizig, jedoch unter klaren, zwingend zu erfüllenden Voraussetzungen machbar. Diese Bedingungen werden möglichst konkret benannt.
Die Methodik zur Beantwortung der Fragestellung kann man dem ausführlichen Bericht (>siehe weiterführende Links) entnehmen. Ich möchte an dieser Stelle stattdessen auf die Ergebnisse eingehen.
Was unsere Energiestudie aussagt - und was nicht
Wichtigste Erkenntnis der Energiestudie ist, dass Aussage C zutrifft. Für eine grosse Bandbreite von Szenarien mit einer «vernünftigen» Entwicklung von Bevölkerung, Einkommen und geopolitischer Umgebung lässt sich gut belegen, dass die Erreichung dieser energie- und klimapolitischen Ziele technologisch möglich und wirtschaftspolitisch gut verkraftbar ist. Dabei zeichnet sich bei praktisch allen Szenarien eine - allerdings unterschiedlich starke - Erhöhung der Stromnachfrage ab. Sehr wichtig ist zudem die Erkenntnis, dass auf diese Art auch die Auslandsabhängigkeit der Schweiz im Energiebereich in den nächsten Jahrzehnten etwa um 65% abnimmt. Der Erfolg dieser Umgestaltung ist desto wahrscheinlicher, je konsistenter die von der Wissenschaft empfohlenen wirtschaftspolitischen Randbedingungen (Kostenwahrheit, Planungs- und Investitionssicherheit) sind und je zielgerichteter die Forschungsanstrengungen. Insbesondere sind eine langfristig orientierte, konsistente Energiepolitik und eine deutlich verstärkte, thematisch breit abgestützte Forschungsförderung unerlässlich.
Was man in der Studie vergebens suchen wird, ist die einseitige Beurteilung einzelner Technologien für die Stromerzeugung oder für andere Nutzenergieformen. Ebenfalls ist mit der Studie keine Empfehlung zum radikalen Verzicht und romantischer Überhöhung der Tugend der Genügsamkeit verbunden. Und schliesslich gibt es keine Garantie, dass sich die Zukunft exakt gemäss einem der plausibelsten Szenarien einstellt.
Vertrauen in individuelle und gesellschaftliche Intelligenz
Alles was die Studie aus neutraler, wissenschaftlich gestützter Sicht und ohne Rücksicht auf Partikularinteressen belegen kann, ist Folgendes:
Ein nachhaltiges Energiesystem ist realisierbar durch Intelligenz, Augenmass und langfristig angelegter strategischer Orientierung an den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Weg dahin ist nicht einfach, die ersten Schritte müssen jedoch sofort gemacht werden. Die ETH Zürich als führende Technische Hochschule kann nicht anders, als der menschlichen Ansicht und Kreativität zu vertrauen und ihren wissenschaftlichen Nachwuchs in seinen Ehrgeiz und Optimismus zu bestärken.
Literaturhinweise
Studie «Energiezukunft Schweiz», November 2011, ETH Zürich (>siehe weiterführende Links)
Energiestrategie für die ETH Zürich, Februar 2008, Energy Science Center, (>siehe weiterführende Links)
Prof. Konstantinos Boulouchos (Quelle: ETH-Zukunftsblog)
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Links zum Artikel:
Studie «Energiezukunft Schweiz» der ETH Zürich
veröffentlicht im November 2011
Energiestrategie für die ETH Zürich
Februar 2008, Energy Science Center
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