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Montag, 9. April 2001 / 11:05:26
Milosevics mühseliger Gefängnisalltag
Belgrad - Für den Liebhaber kubanischer Zigarren muss es
zum Verzweifeln sein: Statt feiner Havannas muss sich der
inhaftierte jugoslawische Ex-Präsident Slobodan Milosevic mit
billigen Zigaretten der Marke «Drina» begnügen.
Auch auf seine eleganten Anzüge muss er verzichten. Das Verbot,
einen Gurt zu tragen, hätte ein unschickliches Herunterrutschen der
Hosen zur Folge. Stattdessen trägt Milosevic einen Trainingsanzug,
den ihm seine Ehefrau Mira Markovic mitgebracht hat. Der einst
mächtigste Mann Serbiens muss auch nach jeder Mahlzeit sein
Geschirr selbst abwaschen.
Jugoslawische Zeitungen breiten genussvoll die Details des
Gefängnisalltags von «Slobo» aus, der seit etwas mehr als einer
Woche im Belgrader Zentralgefängnis in der Bacvanska Strasse
einsitzt.
So wird der Leserschaft geschildert, wie Milosevic mit Besen und
Scheuertuch seine Zelle reinigen muss. Auch ein elektrischer
Rasierapparat wird dem Politiker nicht zugestanden. Er muss einen
«Bic» verwenden, den ihm die Wachen nach jeder Rasur wieder
wegnehmen.
Sechs Quadratmeter
Milosevic residiert in einem Gefängnistrakt, der inzwischen
«Hyatt» getauft wurde, nach dem besten Hotel der jugoslawischen
Hauptstadt. Der Gebäudeteil war erst vor kurzem renoviert worden
und ist für Funktionäre des alten Regimes bestimmt.
Die Zelle des Ex-Präsidenten misst sechs Quadratmeter. Sie
verfügt über ein Metallbett, zwei Sessel, ein Waschbecken und ein
orientalisches Klo, über dem sich eine Dusche befindet.
Gegenüber seinen Mitgefangenen hat Milosevic jedoch zwei
Privilegien: Es gibt heisses Wasser und einen Lichtschalter im
Inneren der Zelle, den er nach Belieben ein und ausschalten kann.
Tee, Gulasch und Konservenkost
Der Gefangene geht erst spät ins Bett und verschläft häufig sein
Frühstück. Sein Essen wird ihm durch eine Luke in der metallenen
Gefängnistür gereicht.
Am Tag, als Gefängnisdirektor Dragisa Blanusa der Zeitung «Blic»
ein Interview gewährte, sah der Speiseplan folgendermassen aus: Tee
und Margarinekuchen zum Frühstück, Gulasch zu Mittag und Schinken
zum Abendessen.
Darüberhinaus kann sich Milosevic auch von Konservenkost
ernähren, die ihm seine Besucher mitbringen. Anschliessend muss er
aber seinen Teller, sein Glas und sein Plastikbesteck selbst
abwaschen.
Die «Katze» ist überall
Ausserhalb der Zelle wird Milosevic auf Schritt und Tritt von
einem ihm zugeteilten Aufseher - Miodrag Savic alias «Macak»
(»Katze») - begleitet. Täglich darf der Ex-Präsident eine halbe
Stunde im Gefängnishof spazieren gehen. Zu dieser Zeit sind die
anderen Gefangenen in ihren Zellen eingesperrt.
Zwei Stunden täglich darf er in einem speziell eingerichteten
Raum seine Besucher empfangen, seine Frau und seinen Anwalt Toma
Fila. Milosevic beschwerte sich den Berichten zufolge darüber, dass
«Macak» ständig diese Treffen überwacht.
In Serbien sind Geschichten aus dem Gefängnis sehr beliebt. In
den Cafés kursieren bereits Witze über «Drina»-Zigaretten, Gulasch,
Napf und Scheuertuch. Und ganz Serbien lacht über die Fotos von
«Mama Mira», die täglich zum Gefängnis pilgert und dabei einen Sack
voll Lebensmittel für «Papa Slobo» dabei hat.
ms (Quelle: sda)
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