Montag, 17. November 2008 / 11:33:35
Mit Vollgas in den Abgrund
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Es ist vermutlich nicht übertrieben zu behaupten, dass die Automobilindustrie der prägende Industriezweig des zwanzigsten Jahrhunderts gewesen ist. Und am meisten wurde vermutlich die USA durch die Benzinkutsche geprägt. Vor ziemlich genau hundert Jahren wurde dort mit dem Ford Model T der Startschuss zur Massenmotorisierung und all seiner Folgen für Gesellschaft und Umwelt gegeben.
Und jetzt, fast genau 100 Jahre darauf, rasen die «Big Three» der US-Auto-Industrie, General Motors (GM), Ford und Chrysler, scheinbar in einen bodenlosen Abgrund. Wenn dies passiert, würden vermutlich auch die europäischen und asiatischen Töchter dieser Firmen (wie Opel, Saab, Ford Deutschland, Suzuki und Mazda) erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden. Eine Angst, die bereits jetzt in der Bitte um Staatsgarantien für den deutschen Autohersteller Opel zum Ausdruck kommt.
Mit Opel und Ford Deutschland zusammen zittern auch viele Zulieferfirmen, welche auf die Aufträge aus der Autoindustrie angewiesen sind, und auch solche in der Schweiz wären von einem Zusammenbruch direkt betroffen. So hofft man denn nicht nur im Konzernsitz von Opel in Rüsselsheim auf ein Hilfspaket für GM.
Doch wäre das langfristig vernünftig und für die Volkswirtschaft lohnend? Die grossen drei gelten momentan als Cash-Verheizer sondergleichen: Im dritten Quartal dieses Jahres gingen 7 Milliarden US$ durch die Kamine von General Motors, gar 7,7 Milliarden durch jene von Ford. Die Bargeldreserven beider Firmen sind dramatisch am schrumpfen und es braucht keinen grossen Rechenkünstler, um zu prophezeien, dass bei Reserven von 16 Mia. (GM) und 19 Mia. (Ford) in ca. 8 Monaten der Ofen bei beiden aus wäre. Der dritte, Chrysler, ist schon fast am Ende und sucht verzweifelt nach einem Partner, der die Firma übernimmt.
Ein Rettungspaket für diese Firmen in ihrer momentanen Form wäre daher von höchst zweifelhaftem Nutzen und vermutlich würden von diesen einfach die Staatsmilliarden verheizt, nur damit sie ein Jahr später wieder am gleichen Abgrund stünden und wieder Milliarden zu benötigten. Daher wäre es sehr interessant zu wissen, was Barack Obama genau meint, wenn er von einem «Überbrückungskredit nach irgendwo und nicht nach nirgendwo» spricht.
Eines ist jedenfalls klar: Die Autoindustrie, wie sie jetzt existiert ist ein Ding der Vergangenheit. Zu lange haben sich die Konzerne aus reiner Bequemlichkeit an alte Konzepte geklammert und diese ausgemolken. Dieses Vergehens sind nicht nur die US-Konzerne schuldig. Wenn BMW zum Beispiel sein völlig sinnfreies Monster X-6, ein SUV-Coupé (ein höhergelegtes, flaches Auto... oder ist das nun ein abgeflachter Geländewagen?), auf den Markt brachte, wusste eigentlich niemand, was das sollte. Konzipiert wurde dieser Wagen – wie so viele anderen auch – für Leute die Bonis zum verschleudern hatten.
Diese Krise bietet neben all dem Schrecken, der noch über die Wirtschaft hereinbrechen wird, eine grosse Chance: jene, dass sich ganze Industrien neu erfinden müssen. Es wird nicht mehr reichen, das Gleiche immer wieder zu machen, einfach grösser, stärker, schneller und komfortabler. Es ist ein Neustart gefordert. Wenn jetzt Firmen mit Hilfspaketen einfach dabei geholfen wird, gleich weiter zu machen, wird niemandem auf Dauer geholfen sein.
Es fragt sich nun, ob diese Chance auch erkannt wird, oder ob die Staatsinterventionen am Ende nur verhindern, dass sich eine alte Industrie endlich verjüngt. Dann wäre es nämlich besser, diese mit Vollgas in den Abgrund donnern zu lassen.
von Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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