Freitag, 20. April 2007 / 11:45:15
Die Lava des Hasses
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Jedesmal, wenn ein Amokläufer zuschlägt, wie dies am letzten Montag geschehen und am vergangenen Donnerstag vermutlich knapp verhindert worden ist, herrscht Fassungslosigkeit. Sowohl in der weiteren, nicht direkt betroffenen Öffentlichkeit als auch im direkten Umfeld, aus dem der Täter stammte.
Vielfach heisst es dann, der Mann – weibliche Amokläufer sind praktisch unbekannt – sei ein ruhiger, zurückgezogener Typ gewesen, der immer höflich war und den ältlichen Nachbarn half, den Müll zur Strasse runter zu tragen. Bevor er dann mit automatischen Waffen ein Massaker anrichtete. Mitunter gelten sie hingegen auch als harmlose Nervensägen, die nach Jahren, ja Jahrzehnten des reinen Redens plötzlich tätlich wurden.
Dabei handelt es sich bei diesem Phänomen des gewalttätigen Wahnsinns keineswegs um eine neuzeitliche Erscheinung. Das Wort Amok stammt aus dem Malaysischen und beschreibt den Mordlauf eines bis dahin unbescholtenen Mannes, der ohne ersichtlichen Grund einen Kris (einen traditionellen, gewellten Dolch) oder eine andere Stichwaffe aufnahm und alle, die ihm in den Weg kamen, niedermetzelte, bis er schliesslich selbst getötet wurde.
Dieses Verhalten wurde lange Zeit als plötzlich auftretender Wahnsinn gedeutet, ein Zeichen dafür, dass der Betroffene seinen Verstand verloren hatte. Doch nach und nach wurde von den damaligen Kolonialbehörden entdeckt, dass hinter den Taten vielfach häusliche und finanzielle Probleme standen, Probleme, die drohten, die Täter zu entehren. Der vielfache Mord mit der unweigerlichen Vernichtung seiner selbst am Ende des blutigen Weges stellte so den Ausweg dar, den perversen Abschied aus einer Welt mit einem lauten Knall.
Damals war der Knall vor allem figurativ – heute hingegen ist er konkret. Ob nun in Baden oder Blacksburg, in Zug oder Columbine, oder nun – beinahe – in Yuba City. Der Unterschied zu einst liegt hauptsächlich in der Schnelligkeit des Tötens. Aber die Gründe sind offenbar gleich geblieben.
Immer wieder tun sich Abgründe auf, wenn nach den Taten hinter die Fassaden der Täter geblickt wird. Auch hinter der von Cho Seung Hui, in dem es offenbar schon lange gebrodelt hatte und zwar so intensiv, dass er an gewissen Orten auch schon aufgefallen war. Er fühlte sich offenbar von der Gesellschaft um ihn herum unterdrückt, verachtet und misshandelt.
Ein Kontrastprogramm dazu bot der bisher verheerendste Schweizer Amokläufer, Friedrich Leibacher, der 2001 in Zug 14 Politiker erschoss, bevor er sich selbst richtete. Er war zuvor als Querulant und Dauerkläger aufgefallen, und meinte, dass der Rechtsstaat ihn vorsätzlich benachteiligt hatte.
Gemeinsam ist diesen beiden und vielen anderen Amokläufern eines: die Täter scheinen zu glauben, dass die Welt sich um sie dreht, dass alles Üble, dass ihnen in ihrem Leben zustiess, persönlich gemeint ist. Seien es nun Prüfungen oder Berufsstress, Rechtsstreit oder Beziehungsprobleme: die Täter sehen sich als ein Opfer der Welt und wollen sich nun an dieser rächen.
Der Leidensdruck ist dabei so riesig, dass nach der Irrsinnstat fast immer der Selbstmord steht – schliesslich sind auch sie, die Täter, Teile der Welt, die es zu zerstören gilt. Der Satz, der von Monty Python einst einer Karikatur eines Psychologen in den Mund geschoben wurde, dass Mord ja nur extrovertierter Selbstmord sei, bekommt hier jeweils eine grausig-makabere Wahrheit.
In der Folge fragt man sich immer, wie solche Taten verhindert werden könnten. Waffengesetze sollen strenger werden, frühe Anzeichen besser gedeutet und so weiter. Doch all diese Massnahmen stossen an Grenzen – entweder an solche der Durchführbarkeit, weil dadurch die Freiheit aller unerträglich eingeengt würde und auch an jene der Wirksamkeit, wenn man realisiert, dass viele dieser Taten monatelang geplant werden und die Täter auch strenge Waffengesetze umgehen könnten. Wer bereit ist, die Welt, in der er lebt, zu zerstören, der wird auch die Mittel dazu finden.
Am Ende steht man vor der tristen Realität, dass manche dieser Irrsinstaten vielleicht verhindert werden können – und auch werden – manche der Täter aber durch alle Maschen hindurchschlüpfen. Menschen sind irrationale Wesen, deren Absichten meist erst nach der Tat klar werden. Solange es uns gibt, wird es in manchen von uns auch mörderischen Wahn geben, werden immer wieder solche menschliche Vulkane ausbrechen und mit ihrer Lava des Hasses ihren Umkreis verwüsten.
von Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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