Freitag, 17. November 2006 / 08:09:09
Nackt, wie Ian Fleming ihn schuf
.
Nehmen Sie mal alles, was Ihnen an James Bond schon immer gefallen hat – die hochgezogene linke Augenbraue Roger Moores, die behaarte Brust Sean Connerys, das Grinsen des Beissers, Giftpfeile aus Schweizer Uhren, Raketen aus englischen Autos – jetzt subtrahieren Sie das vom neuen Bond.
Weil die ganze Welt den Film und seinen Darsteller schon verrissen hat, bevor der Neue überhaupt öffentlich war, kamen wir nicht umhin, uns gestern in Zürich anzusehen – den neuen Film und den neuen Darsteller. Soviel journalistische Ausgewogenheit hat Bond immerhin verdient. Doch um die Häme gleich vorwegzunehmen; Daniel Craig ist in Natura kleiner als auf der Leinwand.
Wahrscheinlich wissen Sie es schon (und wenn nicht, würden Sie dann eine Kolumne mit diesem Titel lesen?), dass der neue Bond zu seinen Anfängen zurückkehrt. Ja, jede Saga hat ihren Anfang, und darum soll nun auch das Publikum endlich erfahren, wie James Bond zum finstren Darth Vad – äh, zum finstren 007 wurde.
Mit ein Grund für Bonds durchgehend schlechte Laune im neuen Abenteuer ist die Folterszene, die alles übertrifft, was man sich unter Guantanamo Bay vorstellen kann: Ein nackter Bond ist einem Sadisten ausgeliefert, der ihn mit dem Ende eines Taus malträtiert. Ungefähr so verletzlich muss sich ein eingefleischter 007-Fan bei «Casino Royale» fühlen. Man hat ihm alles genommen: Pierce Brosnan, die neckischen Spielereien von Q, die neckischen Spielereien mit Moneypenny, und nun wird ihm der Rest seiner Würde weggeprügelt.
Nicht mehr, seit das Schilthorn erfunden wurde, kam ein 007-Darsteller zur Schweizer Premiere (und alle, alle waren da, auch Melanie, die sagt, eine Bondine möge sie nicht spielen, lieber was Anspruchsvolles). Daniel Craig - es stand ausdrücklich in der Gebrauchsanleitung für Journalisten, ihn nicht darum zu bitten, nur einmal, bitte-bitte, «Bond, James Bond» zu sagen - hatte an einem Arm eine Schweizer Uhr (welche, das war Geheimagenten-Geheimnis) und im anderen eine Freundin.
Aussehen tut er wie jene Prollos, vor denen man am Oktoberfest Angst haben muss, wenn sie ein Mass zuviel hatten. Mister Craigs Problem ist nicht, dass er die Rolle als Schauspieler nicht packen kann, sein Problem ist, dass er einfach nicht aussieht, wie sich die Allgemeinheit Bond so vorstellt (einmal abgesehen von jenen bibelfesten Lesern, die Ian Flemings Beschreibung wörtlich nehmen, denn in den Büchern wird 007 mit zerbeultem Gesicht beschrieben, ergo wäre Craig die Idealbesetzung).
Darf also eine weltweit erfolgreiche Filmreihe sich selbst nicht eine Frischzellenkur verpassen? Hat sie nicht das Recht, sich alle Jahre selbst zu erneuern? Neue Wege zu beschreiten? Innovatives auszuprobieren? Die Antwort ist: Nein. Coca-Cola hat das versucht, und musste bald wieder zurück zur Originalformel. Wir Konsumenten erwarten: Wo Bond draufsteht, hat gefälligst auch Bond drinzusein. Schliesslich ist sein Welterfolg letztlich uns, den Ticketkäufern, zuzuschreiben.
Das Produkt 007 ist eine Aktie, und die Filmpremiere ist die Aktionärsversammlung. Nur dass es dann zu spät ist, abzustimmen. «Casino Royale» ist ja ein hervorragender Agententhriller. Schade nur, dass er kein Bond-Film ist. In einer Zeit, da jede noch so kleine TV-Sendung ihr öffentliches Casting macht und das Publikum mit Daumen-runter abstimmt, wer rausfliegt, sollen wir ausgerechnet bei der grössten Filmserie ungefragt bleiben? Die schweigende Mehrheit sagt Nein.
von Roland Schäfli
Artikel per E-Mail versenden
Druckversion anzeigen
Newsfeed abonnieren
In Verbindung stehende Artikel:
Warum geschüttelt und nicht gerührt
Sonntag, 10. Dezember 2006 / 14:00:00