Dienstag, 13. November 2012 / 09:28:00
«Anpassungsstrategien in der Klimapolitik» - ein fragwürdiger Bericht
«Anpassungsstrategien in der Klimapolitik» lautet der Titel einer aktuellen Publikation der deutschen Akademie der technischen Wissenschaften acatech. Der Bericht löste bereits im Vorfeld einen grossen Wirbel in der Öffentlichkeit aus, nachdem vier Klimaforscher unter Protest aus dem Projekt-Team ausgetreten waren. Sie werfen der acatech vor, dass fundierte Forschungsergebnisse in Frage gestellt und die Folgen des Klimawandels verharmlost würden.
Der Hauptteil des neuen acatech-Berichts widmet sich der Frage: Wie kann sich Deutschland an steigende Temperaturen, den steigenden Meeresspiegel, an Hitzewellen und Überflutungen und vor allem an häufigere und intensivere Wetterextreme anpassen? Exponenten aus Wald- und Landwirtschaft, Stadtentwicklung, Infrastruktur, Küstenschutz, Energie, Mobilität und Gesundheit stellen die Bedrohungen dar und geben Handlungsempfehlungen ab. In Deutschland sind auch Störungen der Nahrungsmittelversorgung, grössere Migrationsbewegungen oder erhöhter Unterstützungsbedarf zu erwarten als indirekte Folgen von Klimaauswirkungen in anderen Ländern. Acatech appelliert an die Öffentlichkeit und die Politik, den Anpassungsmassnahmen eine höhere Aufmerksamkeit einzuräumen. Dies ist sicher richtig. Die Frage ist jedoch, wie weit Anpassungsmassnahmen überhaupt möglich sind.
Diffuses Klimabild
Auf welche Klimaänderungen müssen wir uns einstellen? Dazu stehen im Bericht anstelle von Zitaten des aktuellen Forschungsstands diverse verschleiernde Aussagen wie «Detektion und Attribution können sich zumindest theoretisch noch ändern». Völlig unverständlich ist, dass die Unterschiede verschiedener Emissions-Szenarien nicht herausgearbeitet werden, obwohl Ausmass und Schnelligkeit von CO2-Reduktionen für den nötigen Anpassungsaufwand entscheidend sind. Dies steht in krassem Gegensatz zum kürzlich erschienenen IPCC-Spezialbericht über Klimaextreme und Adaption, der den Stand der Wissenschaft umfassend darstellt. Die Häufigkeit von Wetterextremen, die für den Anpassungsaufwand besonders wichtig ist, variiert laut IPCC Bericht je nach Emissions-Szenario um Faktoren. Schon in einem 2°C-Szenario ist der Anpassungsbedarf sehr gross. In Hochemissions-Szenarien - auf deren Pfad wir uns im Moment befinden - sind ausserdem nichtlineare Vorgänge zu befürchten: grosse irreversible Zustandsänderungen, die durch weitere, auch kleine Änderungen ausgelöst werden können.
«Beherrschbarer» Klimawandel?
Und dennoch findet acatech: «Die Auswirkungen des Klimawandels sind in Deutschland für die kommenden Jahrzehnte in der Regel beherrschbar». Dieses beschönigende Blanko-Fazit der acatech ist angesichts der genannten Defizite unhaltbar und unverantwortlich. Eine Institution wie die acatech sollte eine erhöhte Verantwortung wahrnehmen.
Ähnlich verharmlosende Meinungen höre ich übrigens auch immer wieder von Technik-Kollegen - ohne dass sie sich vertieft mit der Klimaforschung auseinander gesetzt hätten. Von Experten jeglicher Fachrichtung würde ich mir wünschen, dass sie Verantwortung über ihr Spezialgebiet hinaus übernehmen.
Prof. Klaus Ragaller (Quelle: ETH-Zukunftsblog)
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Links zum Artikel:
IPCC-Spezialbericht
Blogbeitrag und Links zum IPCC-Spezialbericht über Klimaextreme und Adaption
Bericht «Anpassungsstrategien in der Klimapolitik»
«Anpassungsstrategien in der Klimapolitik»; aktuelle Publikation der deutschen Akademie der technischen Wissenschaften acatech
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