Mittwoch, 28. März 2012 / 09:02:40
The Hunger Games - Brot und Spiele
Wer über die Verstrickung von Macht und Medien in unserer Zeit Bescheid wissen will, tut gut daran, die Jugendbuchtrilogie «The Hunger Games» zu studieren. Vor allem im ersten Band stecken mehr Politik und Ethik als in den meisten Staatskundebüchern oder den Ethikvorlesungen an den schweizerischen Universitäten.
Die Hunger Games hätten auch der Diskussionsrunde von Schweizer Radio vom 26. März 2012 zum Thema «Journalismus und Moral» geholfen. Denn mit dieser Lektüre im Hintergrund hätte der anwesende Ethikprofessor Huppenbauer nie solche Sätze wie: «Das war schon immer so» oder «Ideologisierung des Journalismus gibt es nicht, es gibt nur engagierten Journalismus» (!) oder «Bilder von Mädchen, die verunglückt sind, sehe ich auch lieber als nur deren Velos» von sich geben dürfen. Huppenbauer belegte mit solchen und anderen Sätzen, wie offenbar grosse Teile des gegenwärtigen Universitätspersonal nur noch dazu da sind, in den universitären Lehr- und Bologna-Fabrikstätten, Denkfreiheit zu propagieren.
Deshalb finden wirklich relevante gesellschafts-, medien- und kulturpolitische Debatten nur noch ausserhalb der Institutionen und Forschungsprogramme statt. Beispielsweise eben in den «Tribute von Panem. Tödliche Spiele» wie die jenseitige deutsche Übersetzung von Hunger Games leider heisst.
Die Hunger Games reflektieren den entscheidenden medienethischen und -politischen Wandel. Sie zeigen, wieweit eine Gesellschaft, die sich nicht auf kritische Reflektion, sondern nur noch auf Mehrwert, Sicherheit und Rohstoffkontrolle konzentriert, Hierarchien und Perversionen schafft, die selbst unsere kühnsten, dystopischen Fantasien übersteigen. Den Nihilismus, der einem in den Hunger Games entgegenstarrt, erfahren Menschen wie Sie und ich ab und an in Chefredaktionen, in wissenschaftlichen Kongressen, bei Abendessen unter Hardcore Lobbyisten. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Autorin der Hunger Games jahrelang Drehbücher für TV-Shows verfasst hat. Sie weiss, welcher Medienzynismus Sache ist.
Wie erzählen uns die Hunger Games unsere politische und medienethisch ansatzweise perverse Gegenwart und punkto Social Media optimisitische Zukunft?
Erstens ist die Welt der Hunger Games wie unsere Welt klar in reich und arm aufgeteilt. Die erste Welt heisst Capitol. Capitol könnte synonym mit Kapitalismus verwendet werden. Die Ökonomie, die Hierarchie, die Ungleichverteilung bilden die Basis der Machtstruktur, die Medien sind die willigen und genialen Vollstrecker dieser Herrschaft. Zweitens organisieren die Hunger Games ähnlich wie die Börsenherrschaft unserer realen Welt die unterschiedlichen rohstoffproduzierenden Distrikte der Welt von Panem. Die Hunger Games werden als Ratio, als klare Konsequenz der Geschichte propagiert. Drittens lenken die Hunger Games die entscheidenden Machtträger im ersten Distrikt sprich der ersten Welt, völlig von der Unmenschlichkeit der eigenen Herrschaft ab. Viertens ist die Pharmaindustrie in den Hunger Games so omnipräsent, dass jede menschliche Regung, falls entdeckt, medizinisch «behandelt» werden kann. Fünftens wird die Ideologie der Herrschenden in den Hunger Games als objektive Wahrheit verkauft, verbreitet und mit subtilen wie gewaltigen Mitteln durchgesetzt. Die Experten sind in den Hunger Games evaluierte, auf Exzellenz geprüfte Funktionsträger, die Technik nur anwenden, ohne sie jemals in Frage zu stellen. Hier ist das Buch ebenso explizit wie der Film. Die Wissenschaftler in ihren weissen Schürzen kümmern sich keinen Deut um irgendeine vergessen gegangene Menschlichkeit, sondern applizieren die neusten gentechnischen, neurologischen und klimatologischen Erkenntnisse an den Jugendlichen in der Arena.
Die Menschen des ersten Distrikts sind mit Schönheitsoperationen, Skandalisierungen innerhalb der eigenen Gesellschaft, Unfällen und Shows beschäftigt. Die Menschen aus dem Capitol stören sich nicht an der Tatsache, dass mit einer Reality-Show 24 junge Menschen während Wochen in einer Arena inszeniert werden, die sich gegenseitig brutal umbringen müssen oder zu Tode verhungern. Die Unmenschlichkeit, die in den Hunger Games bis zum tödlichen Ende inszeniert wird, ist in Ansätzen in der Würdelosigkeit des gegenwärtigen Reality TVs erkennbar. Dass keine der real existierenden Medienethiker, sondern höchsten Medizinerinnen klare Worte finden bezüglich der auf mehreren Kanälen inszenierten Fleischverteilungssucht, der Sezierbarkeit von Mädchen, der Pornografie, die darin besteht, Mädchen als Kleiderstangen so zu drillen, damit sie als Hungerhaken der Ästhetik einen offensichtlichen Frauenhass verkörpern, ist schon erstaunlich und belegt die Machtverknüpfung Medien-Politik-Universität. Da sind sogar die mitfühlenden Worte eines Cinnas gegenüber Katniss tröstlicher und politischer.
Die Hunger Games bringen die herrschenden Medienzynismen auf den Punkt: Es wird personalisiert, skandalisiert, trivialisiert, nationalisiert (siehe Distriktmanie.) und polarisiert. Jede Diskussion über Macht wird entpolitisiert und auf kleine Häppchen des Nicht-Denkens reduziert. Die Hunger Games unterhalten die Menschen bis zum Tode und es darf dabei auch noch geklatscht werden.
Übrigens: Wer meint, die Hunger Games werden als Jugendbuch ein Happy-End inszenieren, wird wie in der gegenwärtigen Welt eines Besseren belehrt. Wer über Brot und Spiele schreibt, weiss, dass deren Ende immer blutig ist. Trotzdem, und hier kommen die Social Media rein: Es gibt sogar in den alle Kommunikation kontrollierende Herrschaft in Panem eine Verständigung von Mensch zu Mensch, die stärker ist als alle Macht. Dies ist die einzig wirklich tröstliche Botschaft.
Regula Stämpfli (Quelle: news.ch)
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Kolumne zu Hunger Games in der Chicago Tribune
Ein Beweis, wie Bücher völlig anders gelesen werden können und ein Ausdruck der Entpolitisierung breiter Schichten und Journalisten
Diskussionssendung Radio DRS
Die am beginn der Kolumne erwähnte Diskussion zum Download
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