Montag, 14. November 2011 / 12:15:00
Win-Win Situation für braunen Terror
Ein Blumenhändler, ein Schneider, zwei Obst- und Gemüsehändler, zwei Döner-Verkäufer, ein Kiosk-Besitzer, der Besitzer eines Schliessdienstes und der Besucher eines Internetkaffees. Zu Lebzeiten verband sie eigentlich nichts, mit Ausnahme ihrer Herkunft aus der Türkei (und selbst da gab es mit einem Griechen eine Ausnahme). Alles was sie am Ende verband, waren ihre Mörder und die Art, auf die sie getötet wurden.
Dass ihre Mörder, zwei Neonazis, die seit mehr als zehn Jahren untergetaucht waren, am Ende auf die gleiche weise Starben, nämlich mit Kugeln in ihren Köpfen, dürfte den Angehörigen der Opfer aber nur eine minimale Genugtuung sein. Vor allem, weil die Verwicklungen von Behörden und thüringischem Verfassungsschutz mit den rechtsradikalen Mördern noch ungeklärt ist: Dass die Täter echte, aber auf falsche Namen ausgestellte Ausweise hatten, dass sie, obwohl als brutale Bombenleger aktenkundig, untertauchen und ein Jahrzehnt unbemerkt am gleichen Ort leben konnten und dass die Ermittlungen in den Mordfällen nie in den braunen Sumpf zielten, lässt schlimmste Befürchtungen aufkommen und die tiefe Resignation mancher mit dem Staat bestätigen.
Die beiden Mörder, die sich nach einem missglückten Banküberfall in einem Wohnmobil erschossen - womöglich um der Verhaftung zu entgehen und/oder als Märtyrer der rechten Bewegung in die Geschichte einzugehen - hatten noch eine Komplizin, die sich unterdessen der Polizei gestellt hat und scheinbar einen weiteren Unterstützer, der nun auch fest genommen wurde. Ob diese mehr Licht in die Angelegenheit bringen können? Es wird sich weisen.
Im Gegensatz zum Norweger Breivik, der in diesem Jahr rechten Terror in Europa mit einem spektakulären Massenmord in die Schlagzeilen gebracht hatte, hatten die Mitglieder des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) zwar brutal, aber unauffällig gearbeitet. Erst jetzt ist, dank versendeter und gefundener DVD's mit Bekennervideos drauf, die Täterschaft der oben erwähnten, so genannten «Döner-Morde», einem Polizistinnen-Mord, diversen Bombenanschlägen und einer Serie von Banküberfällen bekannt geworden.
Doch der Schrecken und die Unsicherheit, welche sie mit ihren Morden im Umfeld der Opfer verbreiteten war echt. Vielleicht war es sogar ihr Plan, mit den Morden die öffentliche Stimmung gegen Ausländer in Deutschland aufzupeitschen. Denn es wurde damals im Zusammenhang mit den «Döner-Morden» vielfach von Schutzgeldzahlungen, Wettschulden und Millieu-Abrechnungen berichtet, die als Motiv für die am Tag verübten Hinrichtungen an Kleingewerblern hinhalten mussten. Auch wenn der Einfluss auf die öffentliche Meinung nicht gross war - diese Morde kosteten die Opfer und ihre Angehörigen vermutlich Sympathien, denn irgendwie mussten die ja selber schuld sein, an ihrem Tod.
Für die rechtsradikalen eine Win-Win Situation: Einen Ausländer umgebracht, sein Umfeld verunsichert und dabei noch deren Ansehen gemindert: Nazi-Herz, was willst du mehr? Ach ja, ungeschoren davonkommen. Ein Bekennerschreiben hätte damals nur Sympathien in der Öffentlichkeit für die falsche Seite geweckt und die Ermittlungsbehörden gezwungen, sich mit ihnen zu befassen.
Und der Effekt ist nicht vorbei: Deutsch-Türken fühlen sich vom Rechtsstaat ignoriert: Die Mordermittlungen betreffend ihrer Landsleute wurden offenbar nur mit halber Kraft und einseitig betrieben, ja den Opfern wurde die Schuld indirekt selbst zu geschrieben. Die Saat der Entzweiung und der Wut, welche diese Nazis gesät haben, geht nun auf.
Nein, die grossen Leuchten des Rechtsterrors waren die beiden Toten und ihre Co-Mitglieder bei der «NSU» nicht. Aber sie trugen mit zur Vergiftung des Klimas, zum generellen Misstrauen und zur Angst bei. Und das ist das Ziel jedes Terrors: Unsicherheit, Entzweiung, Zweifel an und Hass auf das bestehende System. Ziel erreicht! Bei den Opfern und auf der Täterseite sowieso.
Es ist Zeit, die Rechts-Nazis endlich als Bedrohung unserer Demokratie, als Mörder von Menschen und Freiheit, als Gefahr wahr zu nehmen. Nur die Tatsache, dass diese ihre Taten nicht mit Bekennerschreiben garnieren, kann ja wohl nicht als Entschuldigung für Ermittlungsbehörden herhalten, dass sie nicht als Terroristen verfolgt werden, weil Islamisten und Linksextreme so viel gefährlicher seien - vor allem wenn man bedenkt, dass die rechte Szene von «V-Männern» des Verfassungsschutzes nur so gespickt ist und scheinbar die Gelder für Informationen so reichlich fliessen, dass diese fast schon als Haupteinnahmequelle der rechten Szene gelten können. Die Opfer des «NSU» sind die tragischen Beweise dafür, dass Terror, egal aus welcher Richtung und gegen wen er betrieben wird, gleichermassen ernst genommen und bekämpft werden muss.
Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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