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Mittwoch, 11. Mai 2011 / 09:13:25

Weimarer Déjà-Vu

Griechenland in der Euro-Krise, Ungarn ein autoritäres Regime, Ai Weiwei einfach verschwunden, Japan strahlt weiter und Gaddafi ist immer noch an der Macht. Statt einen kleinkarierten Bericht über irgendwelche frustrierte Jung-SP-Frauen zu verfassen (wie dies seit Sonntag passiert), soll hier wieder einmal weitergedacht werden.

Der brillante Historiker Dan Diner erzählt in seinem «Das Jahrhundert verstehen» die Lehren, die wir als Menschen aus dem Scheitern der Weimarer Republik ziehen könnten. Schritt für Schritt beschreibt er Hitlers Machtergreifung und beginnt am 27. März 1930. An diesem Tag fiel die letzte parlamentarische Regierung der Weimarer Republik; drei Jahre vor der eigentlichen Machtergreifung Hitlers. Der 27. März 1930 kriegt seine fatale Bedeutung erst in historischer Rückschau. Am 27. März 1930 fiel ein System zusammen, das vielen Krisen ausgesetzt war und drei Jahre später in einer menschenverachtenden Diktatur endete.

Am 16. September 2008 fiel die letzte Bastion demokratisch legitimierter und funktionierender Regierungen in Washington und in Europa. Auch dieses Datum wird in seiner Bedeutung erst in der historischen Rückschau erfasst werden. Doch es gibt Zeitgenossen, die genau spüren, dass der Zusammenbruch des kapitalistischen Finanzsystems mit der anschliessenden sogenannten «Rettung der Banken» durch demokratisch gewählte Regierungen den Weg zur globalen, technischen und ökonomischen Diktatur geebnet hat.

Bevor Sie nun sofort zu Twitter, Facebook und Kommentarnotizen greifen, um mich schändlicher Vergleiche zu denunzieren und meine Argumente sofort zu neutralisieren, lesen Sie noch ein paar Minuten weiter. Denn die Geschichtsschreibung zu Weimar ist entscheidend für das, was wir seit 1999 ansatzweise (Seattle, gescheiterter Protest gegen die WTO-Verhandlungen) und seit 2008 virulent erleben. Es ist das Scheitern der westlichen Demokratien weltweit.

Das damalige Scheitern der Weimarer Republik stellt die entscheidende Frage: Musste es so kommen, wie es gekommen ist? Dan Diner argumentiert, dass eine nicht auf Spielberg-Kitsch konzentrierte Geschichtsschreibung sich weg von den einzelnen Ereignissen auf den Verfall der Demokratie konzentrieren sollte. Das heisst, beim Scheitern der Demokratie sind die fehlenden republikanischen, parlamentarischen und demokratischen Optionen entscheidend. Einfach gesagt: Hätte man dies getan und dies nicht verpasst wäre Hitler nie an die Macht gekommen.

Dieses «Hätte» interessiert mich. Nicht zuletzt auch deshalb, weil mir Walter Benjamins Diktum, dass jede gescheiterte Revolution den Faschismus produziert, im Nacken liegt. Die sogenannte Bankenrettung setzt seit dem 16. September 2008 jede republikanische, parlamentarische und demokratische Option ausser Kraft. Die westlichen Regierungen hätten das globale Finanz- und Industriegeschehen klug und neu gestalten können und könnten es immer noch. Ansätze wie garantiertes Grundeinkommen, soziale Mindeststandards, Aufbrechen der Monopole, sowie die Trennung von Investmentbanking vom Kreditgeschehen sind längst schon vorgedacht. Ebenso die technischen und finanziellen Wege zu einer globalen und nachhaltigen Energiewende.

Doch das Gegenteil passiert, die Optionen werden nicht wahrgenommen. So provoziert der Zusammenbruch der Wallstreet (wie damals der Abgang der letzten demokratisch funktionierende Regierung der Weimarer Republik) je länger je schneller, radikale politische Kulturwandel, gesellschaftliche Instabilitäten, Wirtschafts- und Wertekrisen sowie Bio-Rassendiskurse. Lesen Sie nochmals Erich Kästners «Fabian» und Sie erkennen sofort, wie ähnlich Fabians Zeit der unsrigen ist.

In der Weimarer Republik waren dies der verlorene Krieg, die unsäglichen Bestimmungen von Versailles, die Rassentheorien, der wirtschaftliche Verfall und hohe Arbeitslosigkeit, der Zusammenbruch der internationalen Institutionen sowie die Militarisierung des Diskurses seit dem Grossen Krieg 1914. Nach dem Zusammenbruch der Wallstreet 2008 sehen wir ähnliche Phänomene: Die Rassendiskurse verbinden sich mit Marktüberlegungen - siehe Thilo Sarrazin. Der wirtschaftliche Verfall wird durch den unsäglichen Sozialismus für das Grosskapital gefördert und erinnert eins zu eins an die jenseitigen Reparationsbedingungen von Versailles 1918. Die Einwanderungsdebatten von heute vermengen sich mit technischem Fortschritt - siehe Trutzburg Europa - sowie die öffentlich-rechtlich finanzierten sog. Ethikdebatten. Der wirtschaftliche Verfall beschleunigt den Zerfall der internationalen Institutionen, siehe die Eurokrise um Griechenland et al. Dem weimar'schen Diskurs der Militarisierung entspricht heute eine Ökonomisierung des Denkens «Looser oder Du Opfer!», die schon fast Gehirnwäsche-Dimensionen annimmt.

Die sogenannte Finanzkrise von 2008 kann also im Rückblick durchaus als Kriegserklärung der Finanzwirtschaft an alle gewählten Regierungen verstanden werden. Dieser Krieg dauert an und setzt all die politischen und wirtschaftlichen Wirren frei, die zwar in der Schweiz nicht wirklich gespürt, dafür in den USA und in Europa mit aller Heftigkeit gelebt werden müssen.

Die Übernahme der Schulden einer Finanzindustrie-Kaste durch die Staatsbudgets verändert jede demokratische Grundlage der seit 1945 funktionierenden westlichen Republiken. Statt, wie wir es von unseren liberalen Verfassungsvätern in Rechtsstaat, Grundrechten sowie Wirtschaftsverfassung gewohnt sind, die Misswirtschaft konkurs gehen zu lassen, die Leistung zu honorieren sowie die Bildung möglichst allen zukommen zu lassen, vollziehen unsere sogenannt demokratischen Regierungen, die sich von den Banken stärker denn je erpressen lassen, genau das Gegenteil.

In 50 Jahren werden Menschen (falls sie dann noch denken können und nicht via Elektroimpulsen, chemischer Induktion oder pränataler Vorselektion daran gehindert werden....) detaillierte Geschichten schreiben darüber, wie es kommen konnte, dass sich die Europäische Union selber abgeschafft, Japan für Jahrzehnte hinaus zur reaktiven Sonderzone degradiert, die USA de facto dem Reich der Mitte untertan gemacht, die universitäre Bildung auf einen Biologismus-Kapitalismuskanon eingeschworen, Putins Zarenherrschaft den globalen Gasverkehr regeln sowie die arabischen Diktatoren die westlichen Verfassungen umschreiben und der gesamte afrikanische Kontinent zum Bio- oder sonstigen Rohstofflager der internationalen Energie - und Pharmamonopole mutieren liessen.

Sie finden mich unsauber, radikal, historisch verzerrend? Das Gegenteil ist der Fall! In meiner Schärfe gehe ich eigentlich noch viel zu wenig weit, wenn es darum geht, die Konsequenzen des politischen und des denkerischen Handelns der Gegenwart zu analysieren. Oder wie finden Sie eigentlich einen Präsidenten Sarkosy, der französischen Bürgern zweiter Generation die Staatsbürgerschaft entziehen will? Was halten Sie von einer Lebensmittelindustrie, die Ihnen ein Erdbeerjoghurt offeriert, das nicht mal ein Nanogramm echter Erdbeeren enthält? Wie finden Sie einen europäischen Präsidenten (Ungarn), der in seinem Land die Medien knebelt und eine neue Verfassung schreibt, die jede europäische Demokratie- und Rechtsstaatsgrundlage der Kopenhagen Kriterien verletzt?

Als Hitler mit grossem Tamtam aus dem Völkerbund austrat, gab es damals immerhin einen grossen Aufschrei und internationalen Protest. Heute nehmen die Europäer - mit Ausnahme des Europäischen Parlaments - die antidemokratischen, autoritären Ungarn wie «Business as usual». Wie leben Sie eigentlich mit dem Wissen, dass Ihrem fünfjährigen Sohn via normalem Trinkwasser eine tägliche Überdosis an Östrogen und Pseudoöstrogenen verabreicht wird, die ihn in späteren Jahren mit grosser Wahrscheinlichkeit unfruchtbar werden lässt? Wie bewerten Sie die Tatsache, dass in Italien weiterhin ein Zampano regieren kann, der den Rechtsstaat nicht nur verhunzt, sondern seit Jahren an dessen eigentlichen Vernichtung arbeitet? Was tun Sie gegen die millionenschwere Ritalin- Verschreibungskampagne, die unsere jungen Männer und Buben in Europa und in den USA sprichwörtlich still stellt? Was halten Sie denn eigentlich von Geert Wilders, einer Marie Le Pen oder Timo Soini? Möchten Sie wirklich mit diesen Menschen zu Abend essen?

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie Ihre alte Mutter, ihren alten Vater, ihre Grosseltern besuchen und realisieren, dass Sie eigentlich mit von der Pharmaindustrie jahrelang am Leben erhaltenen Mikro- und Makroorganismen sprechen müssen? Von einfühlsamen Psychologen aber ständig weisgemacht kriegen, dass Gefühle und das schlichte Leben genauso wichtig sind wie ein funktionierendes Gehirn und Urteilskraft? Wie reagieren Sie denn gegenüber der Atomindustrie, die mit der Diktatur der Technik, die nie beherrscht werden kann, jeden bisher herrschenden Generationenvertrag mit Jahrtausend-Strahlungskraft verletzt? Wo ist eigentlich Ai Weiwei und weshalb handeln wir mit China, als wäre es kein Problem, Literaturpreisträger ins Gefängnis zu stecken, das Netz zu zensurieren, die meisten Todesstrafen weltweit zu produzieren und einen Künstler einfach zu entführen?

Dan Diner zeigt, wie Weimar direkt zur Diktatur führen konnte und welche Optionen verpasst wurden. Eine der Optionen war, die sozial- und finanzpolitischen Auseinandersetzungen nicht so zu gestalten, dass sie im Kern die Staats- und Verfassungsordnung verletzen. Die Optionen waren in Weimar die gleichen wie sie heute sind und heissen: Die sozial- und finanzpolitischen Entscheide dürfen den demokratischen Verfassungsstaat nicht verletzen. Punkt. Fertig. Schluss. Das tun sie aber überall und global. Also bleibt nun Protest, Verweigerung und der Ruf nach Gestaltung.

Der Schriftsteller Alex Capus weist in seiner diesjährigen 1.-Mai-Rede den einfachen lokalen Weg. Lesen Sie und handeln Sie. Denn wie nach Weimar werden wir alle uns mal fragen müssen: Wo waren wir, als all dies vor unseren Augen passiert ist? Es soll heute im Gegensatz zu damals keiner mehr behaupten dürfen, er oder sie hätten nicht genau gewusst, mit welchem Regime er oder sie hier stillschweigend kooperiert, mitgemacht, verdient und weitergelebt hat. Es lohnt sich, Widerstand zu leisten. Und sei es nur, indem man sich mit einem richtigen Wahl- und Abstimmungsentscheid einzubringen versucht. Denn eines ist klar: Die Weimarer Republik ist nicht einfach an den grossen Fragen zerschellt, sondern an all den verpassten, kleinen wie grossen Optionen jedes Einzelnen und mit ihm der Gesellschaft, die er oder sie teilte.

Literaturhinweis: Dan Diner, Das Jahrhundert verstehen, Luchterhand, München 1999.

Regula Stämpfli (Quelle: news.ch)

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