Montag, 14. Februar 2011 / 11:37:21
Versenkt im Stadt-Land-Graben
Stadt und Land waren schon immer durch unterschiedliche Interessen und Ansichten getrennt, wobei in früheren Zeiten (bis zum zweiten Weltkrieg) die ländlichen Gebiete aber unter einem entscheidenden Nachteil litten: Das Ansehen des Ruralen war – gelinde gesagt – schlecht: Rückständigkeit, Armut und Landflucht prägten das Bild. Doch irgendwann wurde das Städtische, das Urbane zum Bösen.
Dies hing sicher auch mit der Sehnsucht der Städter nach einer 'natürlichen' Welt zusammen: Der Wunsch nach offenen, aus einzelnen Baumgruppen bestehenden Landschaften ist eventuell schon evolutionär in uns angelegt. Forscher stellten fest, dass die als am gelungensten bezeichneten von Menschen gestalteten Parklandschaften topologisch verblüffend der Steppenlandschaft gleichen, in der sich die Vorfahren des Menschen entwickelt haben.
Doch dieses Sehnen nach einer gewissen Natürlichkeit der Landschaft ist nur ein Faktor eines kulturellen Wertewandels, der mit der schrecklich-schön-idealistischen Romantik richtig angestossen wurde. Diese Gegenbewegung zur vernunftgeprägten Aufklärung trug von Anfang an eine Lüge in ihrem Herzen: Jene der kuschligen Geborgenheit, welche das Landleben biete.
Die ständige Landflucht , die auch heute noch ein globales Phänomen ist, zeigt hingegen, dass das ganz so nicht sein kann. Doch die Verklärung des Ländlichen blieb bestehen und damit eine neue Welt der Klischees. Städter sind hart, verschlagen, unehrlich, gewalttätig, feige und falsch, Landmenschen hingegen grosszügig, herzlich, ehrlich, friedliebend, wehrhaft und echt. Stadt ist schlecht. Land ist gut.
Dass praktisch jede Verbesserung des Lebens auf dem Land ihren Ursprung in der Stadt hatte, wird geflissentlich vergessen: Landmaschinen, Kunstdünger, flächendeckende medizinische Versorgung, Bildung für alle, Agrarwissenschaften... Ohne die städtische Erfindung der Universität, ohne das geballte Wissen an einem Ort, das ausstrahlt auf das Land hinaus, gäbe es in der ruralen Welt auch heute noch mühselig harte Arbeit ohne echten Lohn dafür (o.k. Bauernvertreter behaupten, das sei immer noch so, weshalb sie ja auch immer mehr Geld aus den Städten wollen).
Statt dies einzusehen, begann und beginnt die Indoktrination beim Kleinsten: Stichwort Heidi – die inkarnierte Stadthasserin. Heidi erweicht steinerne Herzen und lehrt Gelähmte laufen... wofür? Damit sie auf einer Alpwiese das Böse der Stadt exorziert? Mitnichten.
Die Idealisierung des Ländlichen und die Dämonisierung des Städtischen im politischen Diskurs, die Beschwörung der Heidi-Schweiz, die Angst vor dem Fremden und die Wahrnehmung dessen in der eigenen Mitte - nämlich den Städten - schadet der Schweiz, die einst mal ein revolutionärer Ort war und jetzt droht, zu einer hohlen Postkartenidylle zu verkommen, zu einer Kuriosität, die sich dereinst im von sich selbst ausgehobenen Graben in ihrer Mitte versenken wird.
Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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