Mittwoch, 8. Dezember 2010 / 09:07:00
Selbstmord in Raten?
Der Klimawandel gefährdet weder die Natur noch das Überleben der Menschheit - aber unsere Zivilisation! Einstein soll gesagt haben, dass er nicht wisse, wie der dritte Weltkrieg gefochten werde. Er wisse aber, dass der vierte mit Stock und Stein ausgetragen werde. Ähnliches lässt sich zum Klimawandel sagen.
Es ist zwar nicht klar, wie genau sich ein ungebremster Klimawandel auswirken wird, doch es ist ziemlich sicher, dass sich bei der jetzigen internationalen Klimapolitik das Klima massiv verändern wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dabei unsere Zivilisation nicht in ihren Grundfesten erschüttert wird. Also ein zivilisatorischer Selbstmord in Raten?
Vorsorgeprinzip wäre nötig
Das Klima reagiert sehr träge, die Verzögerung beträgt Jahrzehnte. Die Energiepolitik von heute wird sich deshalb erst in ungefähr 30 Jahren auswirken. Der Klimawandel lässt sich also nicht wie die Finanzkrise innert kürzester Zeit in den Griff bekommen.
Weil das Klimasystem so träge ist, muss das Vorsorgeprinzip angewendet werden. Es besagt, dass ich bereit bin, auch dann etwas gegen ein Risiko zu tun, wenn ich keine Gewissheit habe, dass der Schaden eintreten wird. So schliesse ich meine Hausbrandversicherung auch nicht erst dann ab, wenn ich hundertprozentig sicher bin, dass mein Haus abbrennen wird.
Klimaskeptiker, die trotz erdrückender wissenschaftlicher Erkenntnisse Klimaschutz ablehnen, weil es den menschgemachten Klimawandel (MK) vielleicht doch nicht gebe, widersprechen diesem Vorsorgeprinzip. Gerade weil es Unsicherheiten gibt, geht es nicht darum, wer in der Debatte um den MK schlussendlich recht haben wird, sondern wer möglicherweise den gefährlicheren Fehler macht.
«Sich richtig irren»
In der Statistik ist seit langem bekannt, dass es zwei Fehlerarten gibt. Der Fehler erster Art: Wenn es den MK nicht gibt, dann irren wir uns, wenn wir handeln, als ob es ihn gäbe. Der Fehler zweiter Art: Wenn es den MK gibt, dann irren wir uns, wenn wir handeln, als ob es ihn nicht gäbe. Man kann aber den ersten Fehler nicht ungestraft beliebig klein machen, ohne zu riskieren, dass der zweite Fehler wahrscheinlicher wird. Der erste Fehler wird zu oft obsessiv diskutiert. Damit droht der zweite wahrscheinlicher zu werden und zudem gefährliche Dimensionen anzunehmen, denn er ist mit besonders negativen Konsequenzen verknüpft.
USA müsste Verantwortung übernehmen
In den USA scheint der Fehler zweiter Art vorläufig gesiegt zu haben. Der Kongress will keine gesetzlichen Werkzeuge beschliessen, welche die Emissionseinsparungen (80% bis 2050), die Präsident Obama in Kopenhagen in Aussicht stellte, gegenüber der übrigen Welt glaubhaft machten. Ein Grund warum sich die Chinesen – deren Land am meisten Treibhausgase emittiert – kaum werden zwingen lassen, rechtlich verbindlichen Reduktionsmassnahmen zuzustimmen.
Dabei hätten die USA eine besondere historische Verantwortung: Ersten sind sie zu ungefähr 30 Prozent an der heute messbaren Erhöhung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre aus fossilen Brennstoffen verantwortlich (die Chinesen haben diesbezüglich eine sechsmal geringere Verantwortung). Und zweitens ist der Pro-Kopf-Ausstoss an Treibhausgasen der USA mit 26 Tonnen immer noch Weltspitze und fünfmal grösser als derjenige der Chinesen. Im Vergleich zu den ärmsten Ländern ist der Pro-Kopf-Ausstoss der USA sogar 130 Mal grösser.
Die finanzielle Hilfe der USA für die Reparatur dieser Schäden ist dann noch dreimal kleiner als diejenige, welche die EU in Kopenhagen in Aussicht gestellt hat.
Eine verfahrene Situation, welche leider in Anbetracht des heutigen Gesamtwissens einem Selbstmord der menschlichen Zivilisation auf Raten gleichkommt. Es sei denn, wir erkennen die Gefährlichkeit des zweiten Fehlers, reissen das Steuer doch noch herum und beginnen eine Klimapolitik zu machen, die auf dem Vorsorgeprinzip basiert.
Prof. Andreas Fischlin (Quelle: ETH-Zukunftsblog)
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Siehe auch Blog von Prof. Reto Knutti
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«Berücksichtigen wir in der Klimapolitik genügend Sicherheitsmargen?»
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