Mittwoch, 17. November 2010 / 09:02:00
Klimapolitik in der Sackgasse?
Die Zeit der inflationären und deflationären Polit-Prognostiker ist wieder einmal gekommen. Die Inflationäre schüren Hoffnungen auf Erfolge bei der COP 16 in Cancun, die Deflationäre gehen von einem Scheitern dieser COP und vielleicht sogar der Klimapolitik insgesamt aus.
Abseits der kurzlebigen und oft politisch motivierten Stimmungsmache lohnt es sich, die Gesamtproblematik stärker in den Vordergrund der Betrachtung zu rücken. Dabei kann es nützlich sein, sich ein paar Gedanken zu machen zu den Unterschieden zwischen dem Welthandelsregime - einer sehr erfolgreichen globalen Kooperation - und dem globalen Klimaregime.
Welthandelsregime vs. Klimaregime
Die rund 150 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf haben in intensiven Verhandlungen ein sehr starkes, kooperatives Regime geschaffen, das aus Normen, Regeln sowie Entscheidungs- und Streitschlichtungsprozeduren besteht. Dieses Regime hat zu einer enormen Expansion des Welthandels beigetragen und auch zur Verhinderung eines Rückfalls in den allseits schädlichen Protektionismus, der die Grosse Depression in den 1930er Jahren prägte. Die beteiligten Staaten haben damit bereits in der Endphase des Zweiten Weltkrieges begonnen. Das globale Klimaregime hingegen ist erst rund 18 Jahre alt.
Ist es also nur eine Frage der Zeit, bis auch im Klimabereich ein starkes globales Regime etabliert sein wird? Die Antwort muss leider verhalten ausfallen, wie der Blick auf weitere Unterschiede zwischen der Welthandels- und der Klimapolitik zeigt.
Unterschiede zwischen Welthandels- und Klimapolitik
|
Handel |
Klima |
Normativer Kontext |
Weitgehender globaler Konsens, dass Wirtschaftswachstum gut und wichtig ist. |
Schwacher globaler Konsens, dass Klimawandel unerwünscht bzw. schädlich ist und vermieden werden muss. |
Wissen |
Weitgehender globaler Konsens (wenn auch empirisch nur beschränkt belegt), dass Freihandel das Wirtschaftswachstum fördert und mehr Vor- als Nachteile hat. |
Unsichere Prognosen, wie gross Schäden durch Klimawandel sind und sein werden. Unsichere Schätzungen, wie die Kosten/Nutzen-Relation bestimmter Vermeidungs- bzw. Anpassungsstrategien beschaffen ist. |
Kosten / Nutzen |
Marktöffnung kostet Staat und Wirtschaft wenig. Kosten und Nutzen liegen zeitlich ca. im gleichen Jahrzehnt. Die Nutzen des Freihandels können «nationalisiert» werden (kein Trittbrettfahrer-Problem). |
Beträchtliche bis sehr hohe Kosten von Treibhausgas-Reduktionen für Staat und Wirtschaft. Kosten und Nutzen liegen zeitlich weit auseinander (30-100 Jahre), was für Wiederwahl-orientierte Politiker unattraktiv ist. |
Kapazität |
Geringe wirtschaftliche Kapazität einzelner Länder behindert die Handelsliberalisierung nicht. |
Geringe wirtschaftliche Kapazität behindert die Klimapolitik sehr stark. |
Strategischer Kontext |
System strikter Reziprozität erleichtert die Kooperation. Belohnung/Bestrafung für Kooperation/Nicht-Kooperation ist einfach: Marktöffnung als Belohnung für Marktöffnung, und umgekehrt. Trittbrettfahrer können einfach identifiziert und bestraft werden. |
Unkooperative Staaten können von kostspieligen Vermeidungs-Massnahmen in kooperativen Staaten profitieren (Trittbrettfahrer-Problem). Investitionen in Anpassungs-Massnahmen können «nationalisiert» werden, Investitionen in Vermeidungs-Massnahmen schaffen globalen Nutzen. Bekämpfung von Trittbrettfahren via strikte Reziprozität ist nicht möglich – «Wenn Du Deine Bevölkerung mehr Auto fahren lässt, tue ich dies auch» ist keine glaubwürdige Drohung. Komplexe und kostspielige «issue-linkages» sind nötig – z.B. Handelssaktionen gegen Klimasünder, Finanzhilfe für unkooperative Staaten. |
Aus diesen Gründen wird die COP 16 wohl kaum mehr als klimapolitische Begleitmusik auf der globalen Ebene liefern können. Die wichtigen Entscheidungen (in alphabetischer Reihenfolge) Brasilia, Brüssel, Moskau, New Delhi, Peking und Washington fallen müssen in den Regierungen der klimapolitischen Ländern. Und bis China und die USA, die zusammen rund 50% der globalen Treibhausgas-Emissionen verursachen, in Bezug auf klimapolitische Ambitionen mit der Europäischen Union gleich- und weiterziehen, werden sicher noch einige Jahre vergehen.
Experimentierfreudigkeit ist gefragt
In der Zwischenzeit sind vor allem Massnahmen gefragt, die in experimentierfreudiger Weise zeigen, wie Treibhausgas-Emissionen in möglichst wirtschaftsverträglicher Weise reduziert werden können. Die Verhandlungen in Cancun sollten sich deshalb nicht so sehr auf Reduktionsziele, sondern eher auf die Weiterentwicklung und Förderung innovativer klimapolitischer Instrumente konzentrieren. Fortsetzung folgt...
Prof. Thomas Bernauer (Quelle: ETH-Zukunftsblog)
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