Sonntag, 21. Dezember 2008 / 17:40:00
«Wer nach Macht strebt, ist ein gefährlicher Mensch»
Düsseldorf - Aus «Schmidt-Schnauze», wie ihn seine Gegner nannten, wurde der Krisenmanager im Kanzleramt und schliesslich der Elder Statesman: Mit Helmut Schmidt feiert am Dienstag einer der zentralen politischen Verantwortungsträger der Nachkriegszeit den 90. Geburtstag.
Es bedarf wenig Phantasie, die parteiübergreifenden Lobeshymnen auf den früheren Politiker und heutigen Politik-Kommentator vorwegzunehmen.
Wieder einmal dürften Zeitzeugen dem kettenrauchenden Sozialdemokraten Pflichtbewusstsein und Geradlinigkeit bescheinigen, und wieder einmal dürfte Schmidt das Lob mit nachdenklichem Lächeln quittieren.
Einer pompösen Geburtstagsfeier erteilte der gebürtige Hamburger frühzeitig eine Absage: Er wolle keine «Festspiele». Diese Haltung passt zum Ruf des schnörkellosen Pragmatikers, der dem Lehrersohn und späteren Soldaten im Zweiten Weltkrieg seit jeher vorauseilt.
Was freilich nicht bedeutet, dass der 1946 in die SPD eingetretene Schmidt je übermässige Angst vor grossen Aufritten gezeigt hätte: Schon nach seinem ersten Einzug in den Bundestag 1953 erwies er sich als forscher Redner, was ihm besagten Spitznamen «Schmidt-Schnauze» einbrachte.
Erfolgreicher Krisenmanager
Dass der glänzende Rhetoriker auch energisch zupacken konnte, bewies der seit 1942 mit Hannelore «Loki» Glaser verheiratete Schmidt bei der Hochwasserkatastrophe 1962 in Hamburg, wo er als Innensenator die Rettungsmassnahmen leitete.
1965 stieg Schmidt zum SPD-Fraktionschef auf und wurde später unter SPD-Kanzler Willy Brandt Verteidigungs- und Finanzminister. Als Brandt 1974 wegen des DDR-Spions Günter Guillaume zurücktrat, zog Schmidt ins Kanzleramt ein - ohne dass er das oberste Regierungsamt angestrebt hätte.
«Mich hat die Macht nicht interessiert, mich hat die Karriere nicht interessiert», sagte Schmidt gut 34 Jahre später. «Wer nach Macht strebt, ist ein potenziell gefährlicher Mensch.»
Konfrontation mit der RAF
Gleichwohl wusste der passionierte Klavierspieler seine Macht und seine Fähigkeit als Krisenmanager einzusetzen in seiner achteinhalbjährigen Regierungszeit. Denn Rezession und Wirtschaftskrise warfen nach der Ölkrise von 1973 dunkle Schatten auf seine Kanzlerschaft.
1976 musste sich Schmidt dann dem wohl schwersten Jahr seiner Kanzlerschaft stellen: Im Deutschen Herbst 1977 suchten die RAF-Terroristen die ultimative Konfrontation mit dem Staat.
Durch die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer liess sich Schmidt seinerzeit ebenso wenig erpressen wie im Fall des wenig später entführten Lufthansa-Jets «Landshut». Die Maschine wurde auf Befehl Schmidts von einer Anti-Terror-Einheit in der somalischen Hauptstadt Mogadischu gestürmt, die Geiseln kamen unverletzt frei. Schleyer wurde kurze Zeit später von der RAF ermordet.
Kompromisslos
Kompromisslos zeigte sich Schmidt auch beim NATO-Doppelbeschluss, der als Antwort auf die Stationierung sowjetischer Raketen die Aufstellung von westlichen Raketen festschrieb.
Gegen heftigen Widerstand blieb der Kanzler eisern bei der Auffassung, dass der Doppelbeschluss alternativlos sei - im Gegensatz zu hunderttausenden Demonstranten, die 1981 gegen die Haltung Schmidts zur Atomrüstung protestierten.
Heute sieht Schmidt, der 1982 nach dem Bruch der SPD/FDP-Koalition per konstruktivem Misstrauensvotum als Kanzler abgewählt wurde, die Richtigkeit des Doppelbeschlusses durch die Geschichte bestätigt.
Längst ist aus dem Krisenmanager ein Elder Statesman geworden, der als Herausgeber der Wochenzeitung «Die Zeit» seit 1983 Politik publizistisch begleitet. Als Politiker bezeichnete Schmidt übrigens Journalisten einst als «Wegelagerer».
Porträt von Richard Heister (Quelle: sda)
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