Montag, 5. September 2005 / 14:57:05
Katrina heizt Debatte über Rassenfrage an
Washington - Sie sind erschöpft, hungrig und wütend. Und sie sind fast alle schwarz - der Bub im roten T-Shirt, dem eine Träne aus grossen traurigen Augen kullert, die übergewichtige Frau mit dem verzweifelten Gesicht und dem Kleinkind am Rockzipfel.
Auch der Mann mit den wirren Haaren ist schwarz, der am Kongresszentrum in New Orleans seine Fäuste in die Fernsehkameras schüttelt. So wie auch fast alle Plünderer, die in der Jazzmetropole Läden ausräumen, und jene, die in Biloxi die Abfalleimer nach Essen durchwühlen - «wie die Tiere», beschrieb es ein Fernsehkommentator.
Seine Worte blieben nicht ohne Reaktion. «Hätte er es so formuliert, wenn es Weisse gewesen wären?», fragte empört ein Radio-Talkmaster. Er ist schwarz.
Ein Abgeordneter prangert an, dass die Obdachlosen von Louisiana und Mississippi als Flüchtlinge bezeichnet würden - «so als handle es sich um Sri Lanka. Es sind Mitbürger, es sind Steuerzahler, es sind hart arbeitende Menschen.» Er ist schwarz.
Im Sender CNN weist ein Kritiker auf zwei Zeitungsfotos hin, die Menschen beladen mit Plastiktüten zeigen. Die einen sind weiss, und in der Bildunterschrift heisst es, sie hätten Nahrung gefunden. Die anderen sind schwarz, und «haben geplündert». «Wenn das nicht rassistisch ist, dann weiss ich nicht was.» Er ist schwarz.
Gräben in der Gesellschaft
Schwarz oder Weiss, Arm oder Reich - nach Bildern des Elends und der Kritik an der langsamen Washingtoner Reaktion ist ein neues Element in die Debatte gekommen: Fragen der Rasse und der Klasse. Manche sorgen sich bereits, dass «Katrina» auch eine gesellschaftliche Spaltung bringt.
Die Wut kocht seit Tagen. Die Opfer fragen, ob es schneller Hilfe gegeben hätte, wenn es sich um Weisse handeln würde. «Wir zählen einfach nicht so viel in Washington», sagte etwa Loretta Creel CNN.
Schwarze Kongressabgeordnete gingen nicht so weit, den Behörden Rassismus vorzuwerfen. Indirekt taten sie es doch: So sagte Elijah Cummings, es dürfe nicht zugelassen werden, «dass der Unterschied zwischen jenen, die leben, und jenen, die sterben, in nichts anderem liegt als in Armut, Alter oder Hautfarbe.»
Weisse Abgeordnete weisen den Rassismus-Vorwurf zurück, aber geben zu: Es geht um Arm oder Reich. Und es sind Schwarze, die meistens ärmer sind, und schwarz sind die meisten Menschen in den Katastrophengebieten.
Die Statistiken sprechen für sich. Im Grossraum New Orleans leben 1,4 Millionen Menschen, 67 Prozent sind Schwarze und 30 Prozent davon leben unterhalb der Armutsgrenze.
Härtefälle betroffen
Besonders hart betroffen von «Katrina» war das Stadtgebiet Lower Nineth Ward. Hier lebt ein Viertel aller Haushalte von weniger als 10 000 Dollar im Jahr. Über 50 Prozent sind arbeitslos. In das Quartier, das auf früherem Sumpfgebiet erbaut wurde, kamen hauptsächlich arme Schwarze.
Hier leben auch viele jener 125 000 Menschen, die nicht fliehen konnten, weil sie kein Auto hatten. «Wir sind besonders hart betroffen, weil man sich vorher nicht genügend um uns gekümmert hat», sagt Brian Charles.
Die Regierung will nun eine von ihnen, eine Schwarze, ins Katastrophengebiet schicken: Die wohlgestylte Aussenministerin Condoleezza Rice. Eine von ihnen? «Nein», sagt Charles.
Gabriele Chwallek (Quelle: dpa)
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