Montag, 21. Februar 2005 / 11:20:07
Bagdad im Würgegriff
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Thamir Ghadhban könnte einem Leid tun: Denn er kann selbst nichts für sein schlechtes Ansehen, an dem er in Bagdad leidet. Thamir Ghadhban ist der Ölminister der irakischen Übergangsregierung und wenn es in der irakischen Hauptstadt mal wieder kein Benzin gibt oder die Stromversorgung ausfällt, weil die Kraftwerke kein Öl haben, wird ihm die Schuld daran gegeben.
Doch was soll Herr Ghadhban denn auch machen? Handelt es sich doch nicht um Organisationsfehler, die zu der Energiekrise führen, sondern Anschläge auf die Pipelines, die nach Bagdad hinein führen. Diese Anschläge, die nur selten Menschenleben fordern, sind vermutlich wesentlich wirksamer im Kampf gegen die neue Regierung, als die Selbstmordanschläge, über die fast jeden Tag ausführlich berichtet wird.
Denn die Anschläge auf die Infrastruktur haben grosse und weitreichende Auswirkungen. Die wirtschaftliche Entwicklung der irakischen Hauptstadt wird durch den mittlerweile permanenten Energiemangel im Keim abgewürgt. Industrielle Produktion ist nahezu nicht möglich, die Versorgung des Volkes mit Konsumgütern und Arbeit ist fast ausgeschlossen.
Doch auch das tägliche Leben in der Hauptstadt wird immer unerträglicher: Stromausfälle, Wassermangel und generelle Unsicherheit sind Nervenaufreibend für die Zivilbevölkerung. Das Ansehen der Regierung und der zuständigen Minister sinkt mit jedem Versorgungsengpass weiter.
Wer diesen Würgegriff an Bagdads Hauptschlagader angesetzt hat, ist nicht bekannt. Aber die Art und die Effizienz der Anschläge deuten auf eine intime Kenntnis des Versorgungssystems hin. Als kürzlich die Hauptwasserleitung gesprengt wurde, wurde die Stelle so ausgewählt, dass praktisch auf dem gesamten Stadtgebiet der Wasserdruck auf Null abfiel.
Die Versorgungspipelines werden ebenfalls immer an jenen Stellen gesprengt, die grösste Wirksamkeit versprechen. Irgendwelche daher gelaufene Terroristen würden es bestimmt nicht schaffen, so effektiv Schaden anzurichten.
Es wird viel mehr vermutet, dass hier Leute am Werk sind, die intime Kenntnisse der Infrastruktur des Irak besitzen und vermutlich selbst an deren Aufbau und Betrieb gearbeitet hatten: Wahrscheinlich ist Saddams alte Garde hier am Werk. Zu aller mindest stellen Sie den Bombenlegern ihr Wissen zur Verfügung.
Diese Taktik funktioniert im Moment hervorragend – was hier stattfindet ist die Belagerung Bagdads ohne Armee. Eine schnelle Abhilfe ist nicht in Sicht. Es wird zwar geplant, alle Pipelines einzuzäunen und mit Überwachungssensoren zu versehen, doch dies kann noch Monate dauern und Hunderte von Millionen kosten.
Wirkungsvoller wäre es vermutlich, die Köpfe hinter den Anschlägen auszuschalten. Da diese und ihre Aufenthaltsort aber unbekannt sind, wären allenfalls Verhandlungen angesagt – und genau dies scheint nun auch stattzufinden. US-Diplomaten und Geheimdienstvertreter haben, wie es heisst, inoffizielle Kontakte mit Vertretern des einstigen Saddam-Regimes aufgenommen, die nun die Anführer des Terrorkampfes gegen die neue Regierung seien.
Dass solche Gespräche überhaupt aufgenommen werden, zeigt wie ernst die Lage im Irak momentan ist. Im letzten Mai hiess es noch: Mission accomplished. Es wird immer klarer, dass diese Behauptung nicht nur ein wenig voreilig war.
von Patrik Etschmayer (Quelle: news.ch)
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