Freitag, 13. August 2004 / 09:10:14
Ich blog das!
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Schon mal einen T-Shirt Träger mit dieser Aufschrift gesehen und gefragt, was das wohl heissen mag? Nein? Dann könnte das daran liegen, dass das Betreiben von so genannten Weblogs (auch kurz "Blogs" genannt) den deutschsprachigen Raum noch nicht gänzlich erreicht hat.
Blogger sind eine besondere Spezies von Computer Usern, die im Internet eine Art chronologisches Logbuch über ihre Surf-Reisen im Internet führen. Teilweise erinnern ihre bisweilen sarkastische Kommentare an Fernsehsendungen wie die Harald-Schmidt-Show oder TV Total. Oder wie es Enrico auf seinem Weblog beschreibt: "In meinem Blog gehts hauptsächlich um mich und das was so in meinem Leben passiert oder auch nicht... "
Ja, es gibt eine Menge Schrott in der so genannten Blogosphäre, und eine landläufige Meinung besagt, Weblogs seien nichts anderes als doofe Privat-Homepages, das regelmässige Schreiben im Netz sei egozentrisch und Bloggen nur ein großer Hype, der die nächsten Jahre nicht überleben wird.
Die Schweiz ist auf jeden Fall Blog-Diaspora, gerade mal 1000 Blogger soll es geben. Vom Netzzugang her müsste das Land eigentlich eine Vorreiterrolle spielen. Im gesamten deutschsprachigen Raum wurden nur ca. 7500 Online Journale geortet. Zum Vergleich: In den USA bloggen regelmässig über 3,5 Millionen Menschen, aber auch in Brasilien, oder zum Beispiel in Polen boomt diese Form des Publizierens.
Mag es in der Schweiz an der angeborenen Zurückhaltung liegen, in Deutschland an Hörigkeitsdenken oder Minderwertigkeitskomplexen - ein Blog verlangt unabdingbar nach Subjektivität - das Interesse von Netsurfern zu kommunizieren und die Lust am Voyeurismus werden dieser Publikationsform in nächster Zeit noch grossen Zuwachs bescheren.
Den ersten Boom für Weblogs gab es nach dem 11. September 2001, als die breite Öffentlichkeit nach mehr konkreten Informationen verlangte, und herkömmliche Content Provider dieses Bedürfnis nicht befriedigen konnten. Sie schufen durch das Durcharbeiten aller verfügbaren Quellen und seitenlange Diskussionen über - gerade in dieser Szene weit verbreiten Verschwörungstheorien - eine Art Gegenöffentlichkeit und gewannen so schnell sogar publizistischen Einfluss.
Blogger filtern das unüberschaubare Angebot an Information im Internet und durch eine starke Vernetzung untereinander beherrschen Blogger schon die beliebteste und wichtigste Suchmaschine Google. So kann es kommen, dass einzelne Blogs im Ranking weit vor einer Unternehmens-Website rangieren. Das heisst: Blogs können im Internet eine Meinungsführerschaft über ein Thema erlangen.
Das ist einerseits für Marketingstrategen interessant - das Schlagwort des "Viral-Marketing" besitzt für Werber einen verführerischen Zauber: Der Erfolg des Low Budget-Films "The Blair Witch Projekt" ist ausschliesslich auf die Blog zu Blog-Propaganda zurückzuführen. Inzwischen werden Werbekampagnen lanciert, die gezielt den Blog-Tratsch zu nutzen suchen.
Eine andere Gruppe, die auf die Propaganda-Macht der Blogosphäre scharf ist, ist die Gilde der Politiker. Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf ist das erste politische Grossereignis, bei dem das Bloggen eine Rolle spielt. Die demokratischen Kandidaten Howard Dean und John Kerry erreichten mit ihren Weblogs täglich tausende Amerikaner und beim Parteikonvent in Boston waren zum ersten Mal auch Blogger akkreditiert. Wissenschaftler sprechen von partizipativem Journalismus. Herkömmliche Medien sollten das ernst nehmen.
Und auf einmal wirkt das harmlose T-Shirt mit dem Aufdruck "Ich blog das!", wie eine Drohung.
von Felix Steinbild (Quelle: news.ch)
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